Philip Zeschmann zum Antrag „Kitabeitragsfreiheit“ von BVB/Freie Wähler vom 23.01.2020

23. Jan 2020

Link zum Vorgang: https://www.bvb-fw-fraktion.de/parla_tracking

Rede von Philip Zeschmann in Textform:

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW):

Ich habe eben schon ausgeführt, dass ich das Interesse an diesem Thema beeindruckend groß finde. Wenn das so bleiben sollte, dann ist das – da haben Sie recht – ein deutliches Signal dafür, dass sich die Landesregierung für dieses Thema überhaupt nicht interessiert.

(Beifall BVB/FW und AfD – Heiterkeit der Abgeordneten

Dannenberg [DIE LINKE] sowie Zuruf: Außer der Ministerin!)

– Ja, eine ist da, immerhin.

Jetzt ist aber meine Zeit abgelaufen, obwohl ich gar nicht geredet habe. Das finde ich nicht gut. Ich muss ja jetzt wieder von vorn anfangen.

Vizepräsident Galau: Ich habe die Zeit kurz angehalten, ist schon in Ordnung. Ich habe das im Blick.

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW):

Gut. – Sie haben alle mitbekommen, dass die Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern vor ein paar Tagen die Kitabeiträge vollständig abgeschafft haben. Das heißt: Dort werden alle Kinder gleichbehandelt, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist dort optimal gewährleistet. Da stellt sich natürlich die Frage, warum wir das hier in Brandenburg nicht hinbekommen. Was ist so schwer daran? Sind wir schlechter oder ärmer als MecklenburgVorpommern? Oder setzt unsere Landesregierung einfach die Prioritäten anders, nämlich zum Beispiel auf den Flughafen BER statt auf unsere Kinder?

(Beifall BVB/FW sowie des Abgeordneten Hünich [AfD])

Dieser Eindruck wird hier erweckt, da die Regierungsbänke eben so spärlich besetzt waren.

Wenn wir uns den aktuellen Stand der Kitabeitragsfreiheit in den deutschen Bundesländern anschauen, können wir feststellen, dass in Baden-Württemberg keine Beitragsfreiheit herrscht, in Bayern ein Zuschuss zu den Kitagebühren gewährt wird, in Berlin bereits seit dem 1. August 2018 Kitabetreuung und Kindertagespflege aller Kinder beitragsfrei sind, in Bremen seit dem 1. August 2019 Eltern für ihre Kinder nach Vollendung des 3. Lebensjahres bis zum Schuleintritt keinerlei Beiträge mehr zahlen müssen, in Hamburg bis zu 5 Stunden täglich in der Kita und bis zu 30 Wochenstunden in der Kindertagespflege ab Geburt – das möchte ich betonen – bis zur Einschulung gebührenfrei sind, in Hessen seit dem 1. August 2018 der Besuch des Kindergartens vom vollendeten 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt für 6 Stunden täglich gebührenfrei ist, in MecklenburgVorpommern die Beiträge vollkommen abgeschafft sind – übrigens bis zu einem maximalen Förderumfang von 10 Stunden täglich -, in Niedersachsen seit dem 1. August 2018 keine Gebühren mehr für die Betreuung von Kindergartenkindern gezahlt werden müssen, in NRW die gleiche Regelung herrscht, die wir derzeit in Brandenburg haben – nämlich dass das letzte Kindergartenjahr freigestellt ist -, in Rheinland-Pfalz die Kindergartenbeiträge für Kinder ab zwei Jahre vom Land übernommen werden, im Saarland und in Sachsen keine Beitragsfreiheit herrscht, in Sachsen-Anhalt die Eltern seit Januar 2019 nur noch für das älteste Kind in Krippe und Kindergarten zahlen müssen, es in Schleswig-Holstein nur einen Zuschuss zu den Kitagebühren gibt und im Freistaat Thüringen seit 1. Januar 2018 das letzte Beitragsjahr freigestellt ist.

Ergebnis: Demnach gibt es drei Bundesländer, wo keinerlei Kitabeitragsfreiheit herrscht; diese wurden jedoch zumeist langjährig konservativ regiert. Dazu kommen zwei mit einem Zuschuss zu den Kitagebühren. In allen anderen elf Bundesländern gibt es zumeist eine vollständige Befreiung von den Kitagebühren für Kinder von drei bis sechs Jahren, in dem ein oder anderen Land sogar ab Geburt oder einem Jahr.

Daneben legen wissenschaftliche Studien nahe, dass sich für Kinder aus ärmeren Familien nach einer solchen Reform die Wahrscheinlichkeit, eine Betreuungseinrichtung zu besuchen, deutlich erhöht.

(Beifall BVB/FW sowie der Abgeordneten Dannenberg  [DIE LINKE])

Diese Entwicklung bewerten die Autoren der Studie sehr positiv, weil dadurch auch Kinder aus ärmeren Bevölkerungsschichten ein qualitativ hochwertiges Betreuungsangebot nutzen können. Da frage ich mich: War das nicht auch immer die Zielstellung der SPD und der Landesregierung? Warum ist das in Brandenburg nicht möglich?

Die Forscherinnen zeigen auch, dass vor allem die Besuchsquoten bei den Zwei- bis Dreijährigen stark ansteigen, während die alleinige Betreuung zu Hause in dieser Altersgruppe seltener wird. Bei älteren Kindergartenkindern sind die Besuchsquoten ohnehin schon sehr hoch; da verändert sich nicht so viel.

Jetzt kommt die interessante Frage: Was kostet das Ganze denn nun? Dazu gibt es eine Studie des Forschungsverbunds, des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund. Die aktuellsten Ergebnisse liegen für das Haushaltsjahr 2015 vor – da müssen wir also noch ein bisschen aufrunden. Demnach beliefen sich die kommunal vereinnahmten Elternbeiträge im Jahr 2015 bundesweit auf 1,36 Milliarden Euro. 2014 waren es nach diesen Berechnungen 1,29 Milliarden Euro. Ich habe jetzt nur mal ganz grob gerechnet, ohne eine kommunale Differenzierung vorzunehmen: Auf die Einwohnerzahl gerechnet – wenn das für die Bundesrepublik mit 83 Millionen Einwohnern gilt -, ergibt sich für Brandenburg mit 2,511 Millionen Einwohnern ein Betrag von 41,1 Millionen Euro. Das ist der Stand 2015. Darin können kleine Rundungsfehler enthalten sein. Da liegen wir heute ein bisschen höher.

Wir reden über einen Betrag von vielleicht 45 oder 50 Millionen Euro, den wir jährlich aus dem Landeshaushalt bereitstellen müssen, damit auch die Kinder in Brandenburg beitragsfreie Kitas und Tagespflegeeinrichtungen bei Tagesmüttern besuchen können.

(Beifall BVB/FW)

Das Fazit aus dieser Sicht lautet: Brandenburg liegt bei der Beitragsfreiheit, wie der Vergleich mit den anderen Ländern zeigt, schon seit einigen Jahren relativ weit hinten. Hinzu kommt, dass in Brandenburg der Rückgang bei der Betreuung durch Tagesmütter im Rahmen der Tagespflege sehr stark ist. Es fehlen insbesondere eine bessere Bezahlung, gleiche oder keine Beiträge für die Eltern wie bei der Kita und Räumlichkeiten.

Vizepräsident Galau: Herr Kollege Dr. Zeschmann, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW): Ja.

Frau Abg. Petra Budke (B90/GRÜNE):

Herr Dr. Zeschmann, Sie haben uns sehr ausführlich Zahlen dazu dargelegt, was ein beitragsfreies Jahr in der Kita kosten würde. Ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie auch wissen, wie viel Geld wir jährlich für das Straßenausbaubeitragsgesetz von Landesseite ausgeben müssen und ob das Geld nicht vielleicht besser in die Beitragsfreiheit der Kitas investiert werden könnte?

(Beifall B90/GRÜNE)

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW):

Wenn ich mich richtig erinnere, waren das rund 25 Millionen Euro. Dazu gab es verschiedene Schätzungen. Das wird möglicherweise – das will ich gar nicht verhehlen – durch die Spitzabrechnung der Städte und Gemeinden ein bisschen mehr sein.

Es ist nicht hilfreich – das ist fast so etwas wie Peanuts, Entschuldigung, ich benutze den Begriff ungern -, das gegeneinander aufzurechnen. In den Flughafen BER jedoch Milliarden nach dem Motto zu investieren, der muss auf Biegen und Brechen „zum Fliegen gebracht“ werden – das hat der ehemalige Ministerpräsident Platzeck so ausgedrückt -, halte ich für unverantwortlich und eine falsche Prioritätensetzung.

(Anhaltender Beifall BVB/FW)

Da wir über ungefähr 45 Millionen Euro bis 50 Millionen Euro reden, sollten wir uns alle gemeinsam im Saal – insbesondere die Kollegen von den Koalitionsfraktionen – einen Ruck in Richtung wirkliche Kinderfreundlichkeit in Brandenburg geben und schnellstmöglich die komplette Kitabeitragsfreiheit mindestens mit dem nächsten Haushalt 2020/21 einführen. Das kann ja wohl an rund 45 Millionen Euro nicht scheitern.

(Beifall BVB/FW)

Kinder sind unsere Zukunft, und die dürfen nicht warten. Lassen Sie uns also gemeinsam diesen Antrag an die Fachausschüsse überweisen. Dort können wir gemeinsam beraten, wie wir das finanziell umsetzen wollen. Daher beantrage ich die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz – federführend – und wegen der Finanzfragen an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen zur Mitberatung. – Danke schön.

(Beifall BVB/FW)

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