Philip Zeschmann zum Antrag des Haushaltsausschusses „Notsituation u. Nachtragshaushalt“ – 01.04.20

1. Apr. 2020

Rede von Philip Zeschmann in Textform:

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen Abgeordnete! Wir stehen heute hier und führen eine verkürzte Notsitzung des Landtages durch, um eine Bedrohung für die Menschen in Brandenburg und in ganz Deutschland schnellstmöglich abzuwenden und die daraus folgenden Verwerfungen insbesondere für unsere gesellschaftlichen Strukturen und unsere Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Das haben wir heute schon vielfach gehört.

Um uns das leisten zu können, müssen wir allerdings eine Notsituation nach unserer Landesverfassung feststellen. Ich glaube, wir alle hätten uns das vor ein paar Wochen nicht einmal in unseren schlimmsten Albträumen vorstellen können. Wir setzen auch die in unserer Verfassung enthaltene Schuldenbremse außer Kraft, um umfangreiche Hilfen für die Menschen in Brandenburg sicherzustellen. Das ist historisch einmalig.

Auch der Rettungsschirm ist von seinem Umfang her historisch einmalig. Was wir aber gar nicht verstehen, ist, warum Sie als Vertreter der Koalitionsfraktionen dem mehrfachen Hilferuf der Sozialverbände, die sich im Moment darum bemühen, ihre Einrichtungen offenzuhalten und die Pflege in unserem Land sicherzustellen, mit diesem Rettungsschirm in keiner Weise entsprechen und damit der Lage gerecht werden. Das kann ich überhaupt nicht verstehen.

Sie werden dafür verantwortlich sein, wenn die sozialen Einrichtungen – genau das wurde uns mehrfach mitgeteilt; das  Schreiben haben Sie auch bekommen – in den nächsten Tagen – Tagen, nicht Wochen! – die Pflege von vielen sozial Bedürftigen, vielen älteren Menschen, die von Pflege abhängig sind, einstellen müssen. Bitte tun Sie da kurzfristig etwas.

Wir von den Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen unterstützen natürlich die Bereitstellung des Rettungsschirms und ein gemeinsames Handeln der Landespolitik. Wir haben in den letzten Wochen auch viele konkrete Vorschläge dazu eingebracht: Wir haben als Erste zum Beispiel schnelle Hilfen für die Soloselbstständigen und die Kleinstunternehmer gefordert. Wir haben als Allererstes schon vor vielen Wochen gesagt, wir müssen die steuerlichen Vorauszahlungen genau deswegen aussetzen. Und wir haben die Anregung gegeben, dass über die Industrie- und Handelskammern die Homeoffice-Lösungen eingefordert werden, also wirklich alle Unternehmen auf die Möglichkeit der Nutzung von Homeoffice hingewiesen werden, damit das nicht einzelfallweise gehandhabt wird.

Aber auch und gerade in Zeiten der Krise – wie aktuell – dürfen wir natürlich nicht vergessen, dass mit diesem Nachtragshaushalt die Weichen für die Entwicklung Brandenburgs nach der Krise gestellt werden. Deshalb hatten wir zum Haushalt einige, aus unserer Sicht noch viel wichtigere Änderungsanträge eingereicht, die die Koalitionsfraktionen in offenkundiger Negierung der Krise leider allesamt – übrigens wie alle Anträge der Oppositionsfraktionen, egal ob sie sinnvoll oder nicht sinnvoll erscheinen, ob sie gut oder schlecht sind – abgelehnt haben.
Da vermissen wir die konstruktive Zusammenarbeit, die man uns im Ausschuss am Anfang der Legislaturperiode versprochen hat.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter? – Bitteschön, Herr Abgeordneter Bretz.

Herr Abg. Bretz (CDU): Herr Kollege Zeschmann, Sie haben gerade schweres Geschütz aufgefahren und uns vorgeworfen, dass wir uns nicht um die Probleme im Land kümmerten und die Verantwortung dafür trügen, wenn es nicht so läuft. Ich will einen Satz aus den umfangreichen Dokumenten vorlesen, die Ihnen zugegangen sind. Der entscheidende Satz im Haushaltsvermerk lautet: „Die Ausgaben sämtlicher Einzelpläne dürfen aus diesem Ansatz verstärkt werden.“ Haben Sie diesen Satz gelesen und würden mir deshalb recht geben, dass mit der Ermächtigung von 2 Milliarden Euro nach Zustimmung und Freigabe durch den Haushaltsausschuss ab 1 Milliarde Euro die Landesregierung in der Lage ist, alle relevanten Positionen haushalterisch zu verstärken und damit auch soziale Probleme zu lösen?

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW): Herzlichen Dank für Ihre Nachfragen. – Natürlich haben wir den Satz gelesen. Trotzdem löst er nicht dieses Problem. Die Sozialverbände haben sich mit ihren Trägern und Einrichtungen mehrfach an alle Abgeordneten gewandt und gefordert: Wir brauchen jetzt sofort Nothilfen, um unsere Einrichtungen offenzuhalten, um die Pflege weiter zu gewährleisten! – Diese Forderung ist mit dem, was Sie da vorlegen, leider nicht erfüllt, denn diese Einrichtungen fallen meist nicht unter den Rettungsschirm. Das verstehen wir nicht. Die Einrichtungen haben nicht nur das Problem, dass Leute krank oder in Quarantäne geschickt werden, sondern sie haben auch das Problem, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere im Bereich der Pflege, die zum Beispiel aus Polen oder anderen Nachbarländern stammen, nicht mehr kommen dürfen. Und Sie stellen sich hier taub und kaltherzig hin und sagen: Ist uns egal. Wollen wir nicht aufnehmen. – Sie haben all das im Fachausschuss mehrfach abgelehnt. Und jetzt wollen Sie nicht die Verantwortung dafür übernehmen, wenn wahrscheinlich schon heute oder morgen in Brandenburg Menschen nicht mehr gepflegt werden
können, weil diese Einrichtungen schließen. Das muss man hier feststellen.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Noack?

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW): – Nein. – Wir kommen zu den Änderungsanträgen, die aus unserer Sicht gerade jetzt absolut notwendig erscheinen. Sie haben in den Nachtragshaushalt zum Beispiel die Aufstockung der Mittel für den Zensus 2021 aufgenommen. Das halten wir in diesen Zeiten für so überflüssig wie einen Kropf, denn es gibt überhaupt keine Gründe für die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für diesen Zensus. Das sind immerhin 4 Millionen Euro und dann 11 Millionen Euro insgesamt. Wir sind vielmehr der Meinung, dass auch die ursprünglichen 7 Millionen Euro überhaupt nicht erforderlich sind, weil fast alle Daten taggenau in den Einwohnermeldeämtern vorliegen. Sparen wir hier für die Notsituation, damit wir sie in unserem Land jetzt bewältigen können!

Weiterhin hatten wir den Antrag gestellt, dass es keine Regionalkoordinatoren geben solle: Auch sie sind unsinnige Parallelstrukturen und so überflüssig wie nur irgendetwas! Wir haben in Brandenburg reichlich Strukturen dieser Art; das ist also nicht erforderlich. Es gibt Landräte, es gibt Regionale Planungsgemeinschaften, die hier tätig sind. Unnötige Parallelstrukturen sind zudem demokratisch nicht legitimiert. Und Sie bringen hier Anträge ein, die bis 2024 insgesamt 16 Millionen Euro kosten! Tut mir leid, das können wir uns nicht leisten, das Geld müssen wir für die Krisenbewältigung nutzen!

Das Schlimmste daran ist: Das wird getan, ohne dass auch nur ansatzweise erläutert wird, wozu diese Personen, diese zusätzlichen Stellen und die entsprechende Ausrüstung notwendig sind, was sie konkret leisten wollen, wie sie vor Ort mit den vorhandenen Strukturen zusammenarbeiten, zusammenwirken wollen.

Drittens: Keine neuen Steuermittel für den BER! Das ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Ich gehe einmal von den ursprünglichen Finanzmitteln aus: 40 Millionen Euro zusätzliche Kredite für den weiteren Ausbau des Flughafens und – wie wir jetzt wissen – noch einmal 111 Millionen Euro für die vorgeblich coronabedingten Betriebskosten. Ich bin nicht so sicher, ob damit nicht eine heimliche Finanzierung des weiteren Ausbaus des Flughafens stattfinden soll. Es gibt keine Begründung, es gibt keinen aktuellen Businessplan und keinen Finanzierungsplan. Deshalb halten wir weitere Steuermittel für das Milliardengrab im märkischen Treibsand, das bekanntlich das berühmt-berüchtigte Fass ohne Boden in der brandenburgischen Landespolitik ist, für unverantwortlich und aberwitzig.

Wie können Sie, liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wie können Sie, werte Landesregierung – deren Vertreter immerhin noch punktuell anwesend sind -, weiterhin verantworten, dass weitere Milliarden an Steuergeld für unsere Bürger an allen Ecken und Enden fehlen? Kaputte Straßen, marode oder sogar gesperrte Brücken – darüber haben wir hier schon reichlich diskutiert -, heruntergekommene Kita- und Schulgebäude, fehlende Kitaplätze, zu wenig Turn- und Sporthallen, immer noch zu wenig Erzieherinnen und Erzieher, zu wenig Lehrer, immer noch zu wenig Polizisten und ein entsprechend „bescheidenes“ Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Wollen Sie das wirklich immer weiter fortsetzen? Und damit sind nur die frappierendsten Defizite angesprochen, die alle nicht sein müssten, gäbe es das Fass ohne Boden namens BER in der brandenburgischen Landespolitik unverantwortlicherweise nicht immer noch.

Wir haben den Änderungsantrag auch eingebracht, um diese 40 Millionen Euro in der Ermächtigung für nächstes Jahr zu streichen.

Weiterhin haben wir die Forderung eingebracht, endlich den sozialverträglichen Wohnungsbau zu stützen. Wir alle wissen: Die Wohnungsnot hat in den letzten Jahren zugenommen, die Mieten steigen, die Menschen finden kaum eine Wohnung oder gar keine mehr. Es war einmal überparteiliche Übereinkunft in diesem Hause, dass wir den Wohnungsbau und insbesondere den sozialen Wohnungsbau fördern wollen. Was tut unsere Landesregierung – auch mit diesem Nachtragshaushalt? Die 75 Millionen Euro an Bundesmitteln für sozialen Wohnungsbau, die da sind, werden nicht abgerufen. Deswegen haben wir den Antrag gestellt: Tun Sie das endlich! Nutzen Sie das Geld, das vom Bund zur Verfügung gestellt wird, für den sozialen Wohnungsbau! Nehmen Sie es in die Hand, rufen Sie es ab und setzen Sie es endlich in Wohnungen für unsere Bürger um!

Weiterhin: kostenloser Schülerverkehr. Da wird es jetzt spannend. Chancengleichheit für alle ist für uns als BVB / FREIE WÄHLER wichtig. Ich habe immer verstanden, dass die SPD viele Jahre lang – konkret über 150 Jahre – auch für Chancengleichheit stand. Da bin ich dann schon erstaunt, dass genau dieser Grundwert der Sozialdemokratie seit Jahren von der SPD Brandenburg ignoriert und mit diesem Nachtragshaushalt wieder einmal über Bord geworfen wird. Eigentlich müsste der SPD-Landesverband wegen fortgesetzter Missachtung eines zentralen Grundwerts der SPD aus der Partei geworfen werden. Aber das wäre wohl im Moment, in den Zeiten, in denen man auf Bundesebene auf einstellige Wahlergebnisse zusteuert, eine zu nachlässige und weitergehende Selbstzerstörung.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Darf ich Sie bitten, langsam zum Ende zu kommen?

Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW): Ja, ich komme zum Ende. – Nachdem also die SPD diese Grundwerte aufgegeben hat, haben wir das Thema seit Langem in unserem Programm und fordern den kostenfreien Schülerverkehr auch hier als Mindeststandard.

Da ich jetzt keine Zeit mehr habe: Der letzte Antrag – die Kindernachsorgeklinik für schwerstkranke Kinder im Land Brandenburg erhalten – liegt Ihnen auch vor. Darin bitten wir Sie, die 5 Millionen Euro Baukostenzuschuss bereitzustellen, die übrigens von Ihnen selbst eingespart wurden. Das können wir, wenn wir beim bisherigen Haushalt bleiben, genau und exakt bereitstellen. Seien Sie also nicht so hartherzig! Unterstützen Sie diesen Antrag für die schwerstkranken Kinder in Brandenburg! – Danke schön.

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