Ilona Nicklisch zum Gesetzesentwurf der Koalition (SPD, CDU, Grüne) „Qualitäts- und Teilhabeverbesserung in der Kinder- und Jugendhilfe“ vom 17.06.20

17. Jun 2020

Die Rede von Ilona Nicklisch in Textform:

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Abgeordnete!

Wie einzigartig und wunderbar Kinder sind, kann man in vielfältiger Weise immer wieder lesen und hören. Mancher macht auch selbst die Entdeckung. Wie wir allerdings viel zu häufig mit ihnen umgehen, ist kein Spiegelbild dieser Erkenntnis. Weiterhin sind Kinder nur ein Zahnrad im täglichen Getriebe des Alltags – eine beklagenswerte Situation.

Das Produkt der aktuellen Kindererziehung in den Kitas bekommen anschließend unsere Schulen präsentiert. Die Lehrer in diesen Einrichtungen bekommen das Ergebnis sogar knallhart zu spüren. Haben Sie schon einmal fünf Kinder zwischen drei und sechs Jahren auf einen Schlag für zwei bis drei Stunden durchgängig beschäftigt? Die meisten Eltern sind damit bereits überfordert.

Mit der heutigen Vorlage muten wir den Erziehern zu, tagtäglich acht Stunden mit der doppelten Anzahl an Kindern klarzukommen – theoretisch, denn praktisch ist es noch weit schlimmer. Tatsächlich sind es eher zwölf, 13 oder 15 Kinder, die eine Erzieherin allein zu beaufsichtigen und zu erziehen hat. Denn aus dem Schlüssel von 1:10 – wo wir ja sagen, das ist gut – sind Urlaub, Feiertage, Fortbildung, Krankheit und sonstige Ausfälle der Erzieher nicht herausgerechnet. Selbst der theoretische Betreuungsschlüssel von 1:10 ist erst dann erfolgreich realisiert, wenn die dafür notwendigen ca. 650 Stellen neu besetzt werden konnten. Angesichts der aktuellen Arbeitsmarktlage ist diesbezüglich Skepsis angebracht.

Im bundesweiten Maßstab tummelt sich Brandenburg – selbst bei Umsetzung dieses Beschlusses – eher im hinteren Bereich des Schlüsselrankings. Nach Informationen der Bertelsmann Stiftung kümmerte sich schon 2016 bundesweit rein rechnerisch ein Mitarbeiter um 9,2 Kinder. Spitzenreiter war schon damals Baden-Württemberg mit durchschnittlich 7,2 Kindern pro Erzieher. Das ist auch in etwa die Größenordnung, die die Experten der Bertelsmann Stiftung für die Betreuung von Drei- bis Sechsjährigen als notwendig erachten.

Wie wichtig ist der Personalschlüssel eigentlich? „Der Personalschlüssel ist ganz zentral für die Qualität einer Kita“, sagt Susanne Viernickel, Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Universität Leipzig. Es sei wissenschaftlich erwiesen: Je besser der Personalschlüssel ist, desto besser können sich Betreuer um die Kinder kümmern. „In der Folge entwickeln sich die Kinder häufig besser“, sagt sie. Für diese Erkenntnis muss man kein Professor sein und keinen Doktortitel haben.

Angesichts dieser Tatsachen ist die Umsetzung der geplanten Änderung ein weiterer Schritt zu praktikablen und akzeptablen Lösungen bei der Kindererziehung. Grund, sich auf die Schulter zu klopfen, gibt es jedoch lange noch nicht. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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