Rede von Péter Vida in Textform:
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich freue mich, dass es in den letzten Minuten möglich geworden ist, zur Sachdebatte zurückzukehren und nicht dieses parteipolitische Hickhack zu spielen, das leider die gesamte Debatte wesentlich dominiert hat. Das ist nicht das, was die Bürger draußen an den Bildschirmen von uns erwarten.
Das Jahr 2020 wird – zumindest in der freiheitlichen Welt – als das Jahr mit den gravierendsten Einschränkungen seit vielen Jahrzehnten in die Geschichte eingehen. Es ist unser Auftrag, den Gesundheits- und Lebensschutz stets vornan zu stellen und dabei verhältnismäßige Abwägungen mit den übrigen Rechten vorzunehmen.
Diese übrigen Rechte haben es in sich: Berufsfreiheit, Freizügigkeit, Versammlungsrecht, Religionsausübung. Um das zu beurteilen, braucht es eine gesamtgesellschaftliche Debatte. Sie ist zu führen unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte, und in einer föderalen Republik ist das Spiegelbild dieser Kräfte nun einmal der Landtag.
Für BVB / FREIE WÄHLER steht die Beteiligung aller Fraktionen als Geschäfts- und Verhandlungsgrundlage vornan, wenn wir über weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sprechen. Daher werte ich die heutige Debatte als ein Zeichen, als einen Schritt dahin. Hierfür braucht es aber keinen Dank seitens der Opposition, sondern das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir gehen davon aus, dass das in Zukunft weiter ausgebaut wird. Die heute vorliegenden Anträge dienen dazu.
Meine Damen und Herren, bei sachlicher Betrachtung der Situation müssen wir feststellen, dass bereits seit Ende Juli die Infektionszahlen in Berlin gestiegen sind, erst langsam und seit Mitte September mit immer größerer Geschwindigkeit. Die Bundeshauptstadt wurde, für sich betrachtet, im Rahmen der zweiten Welle einer der bedeutendsten Corona-Hotspots Deutschlands.
Wir konnten feststellen, dass trotz der 200 000 Pendler die Zahlen für Brandenburg bis Mitte September noch recht gut aussahen. Vielleicht haben manche deshalb gehofft, dass Brandenburg verschont bleibt. Wir wissen nun, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Binnen anderthalb Monaten hat sich die tägliche Zahl der Neuinfektionen in etwa verzwanzigfacht, und zwar mit einer deutlich höheren Infektionsquote, als dies etwa die Testanstiegsquote erklären würde.
In den letzten Wochen verschiebt sich zudem das Infektionsgeschehen leider wieder zunehmend in Richtung der älteren und damit gefährdeteren Bevölkerung. Täglich steigt die Zahl von Covid-19-Patienten mit intensivmedizinischer Behandlung um etwa 7 % und hat den entsprechenden potenzierenden Effekt. Zwar können sich die Krankenhäuser heute noch gut um Patienten kümmern und gibt es auf den Intensivstationen freie Kapazitäten; doch sollte sich der Anstieg der Infektionszahlen weiterhin annähernd exponentiell fortsetzen, wird das Gesundheitswesen in wenigen Wochen an seine Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn auch wahrscheinlich nicht zuerst in Brandenburg; dafür aber in Berlin – und danach auch in Brandenburg.
Genau deswegen braucht es Maßnahmen. Wir haben immer gesagt, dass wir die Maßnahmen an das lokale Infektionsgeschehen koppeln wollen. Dass dies nun angesichts der regionalen Situation in Brandenburg notwendig ist, ist bei rationaler Betrachtung vor dem Hintergrund der erheblich gestiegenen Zahlen wohl nicht in Zweifel zu ziehen.
Es stellt sich also weniger die Frage, ob etwas getan werden muss, sondern welche Maßnahmen sinnvoll erscheinen. Deswegen ist es auch richtig und wichtig, dass es in diesem Haus einen großen Konsens gibt, entschieden dem Geschwätz entgegenzutreten, dass es im Sommer ja nur so und so viele Neuinfektionen gegeben habe. Es gibt einen Konsens, der Sichtweise entgegenzutreten, es sei besonders kühn, wenn man sich einer Maskenanordnung widersetzt. Diese Leute wollen nicht einsehen, dass das Wirken von Maßnahmen sich gerade auch in sinkenden Infektionszahlen zeigen kann und dass sich die Notwendigkeit von wiederaufzunehmenden Maßnahmen in dem Anstieg von Zahlen begründet. Wer hier abwiegelt und verharmlost, mag Schlagzeilen für sich produzieren, gefährdet aber im Ergebnis Menschenleben.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidungsfindung sind jetzt deutlich besser als im März. Wir haben es bei Covid 19 nicht mehr mit einer unbekannten Gefahr zu tun – zwar mit einer großen, aber eben nicht unbekannten Gefahr. Damals, vor einem halben Jahr, beruhten die Maßnahmen notgedrungen noch auf Mutmaßungen. Dabei wurde immer vom schlimmsten Fall ausgegangen, und das war damals auch verhältnismäßig.
Wir verfügen in Deutschland mittlerweile über statistische Daten mit einer Stichprobengröße in den Zigtausenden, auf die wir unsere Entscheidung stützen können. Das sollten wir nutzen, um auch in der Krise Maßnahmen einer rationalen, auf Fakten basierenden Prüfung zu unterziehen. Unnötige wirtschaftliche Schäden sind dabei zu vermeiden.
Daher sagen wir ganz klar, dass viele in der Debatte befindlichen Maßnahmen unseres Erachtens nachvollziehbar und sinnvoll sind: Privathaushalte sollen Familienfeiern einschränken, Altenheime sollen Maßnahmen zum Schutz der Bewohner ergreifen, und der Infektionsschutz am Arbeitsplatz sollte verbessert werden. Wo es geht, sollen Homeoffice-Lösungen ermöglicht werden, und im Freizeitbereich soll das Angebot reduziert werden. Das sind Maßnahmen, die sich mit den Zahlen des RKI rechtfertigen lassen. Ich erlaube mir hierbei den Hinweis, dass wir als BVB / FREIE WÄHLER bereits im März dieses Jahres die Ausweitung der Homeoffice-Möglichkeiten eingefordert haben.
Durchaus kritisch zu hinterfragen ist, welche Fortschritte seitdem im Bereich der digitalen Infrastruktur erzielt worden sind. Inwiefern hat sich Deutschland seit dem Frühjahr in diesem Bereich besser aufgestellt, nach dem, was alle gefordert und versprochen haben? Geschehen ist in diesem Bereich wenig, obwohl man ahnte oder zumindest ahnen musste, dass eine zweite Welle kommen würde.
Eine konsequente Beachtung der Maskenpflicht im Einzelhandel, besondere Vorsicht gegenüber Risikogruppen, Vermeidung größerer Gruppen, Schließung von besonders infektionsgeneigten Einrichtungen – das sind Maßnahmen, die verhältnismäßige Opfer abverlangen und auf große Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen; denn sie beziehen sich auf Bereiche, in denen nachweislich verhältnismäßig viele Ausbrüche mit einer hohen Zahl an Infizierten stattfinden.
Würden sich nun die Maßnahmen, die von der Bundesregierung und wahrscheinlich auch von der Landesregierung vorgeschlagen werden, auf diese Bereiche beschränken, hätten sie unsere unumwundene Zustimmung. Doch bei einigen der vorgeschlagenen Maßnahmen ist das unseres Erachtens nicht der Fall.
So sollen auch Gastronomie und Gastgewerbe weitgehend heruntergefahren werden, und das für mindestens einen Monat. Da stellt sich die Frage nach dem Grund und auch nach der Geeignetheit und Erforderlichkeit dieser Maßnahme. Laut den Zahlen des Robert Koch-Instituts waren Beherbergung und Gastronomie für die Ausbrüche der letzten Wochen kaum von Bedeutung. Selbst zusammengenommen verantworteten sie nur einen Bruchteil der Infektionen des restlichen Freizeitbereichs. Im Vergleich zu den Ausbrüchen in Altenheimen, auf der Arbeit und im privaten Bereich ist ihr Anteil praktisch bedeutungslos.
Rechtfertigt eine Reduktion der Ansteckung um etwa 1,5 % die Schließung von etwa 5 % der Wirtschaftsleistung? Offensichtlich basiert die geplante Stilllegung von Gastronomie und Gastgewerbe nicht auf den vorliegenden Zahlen des RKI zum Infektionsgeschehen und ist daher nicht verhältnismäßig; denn wenn man die Gaststätten isoliert betrachtet, sind diese Ursprung von nur 0,5 % der Infektionen. Daher bringen wir als BVB / FREIE WÄHLER einen Antrag zur Offenhaltung der Restaurants und Cafés ein.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Abg. Vida (BVB/FW): Bitte schön.
Herr Abg. Dr. Redmann (CDU): Herr Vida, Sie haben gerade eine Studie des RKI zitiert, in der vermerkt ist, dass die Gaststätten nur zu 1,5 % zum Infektionsgeschehen beitragen. Ist Ihnen bekannt, dass in dieser Studie bei 75 % der Ansteckungen überhaupt nicht der Grund vermerkt wurde, weil einfach unbekannt ist, wo sich die Menschen anstecken?
Die nächsthäufige Kategorie dieser Studie ist das häusliche Umfeld. Da wir aber nun wissen, dass sich Mutti nicht einfach bei Vati ansteckt, wenn keiner zuvor infiziert war, ist es auch keine weiterführende Information, wenn man das häusliche Umfeld als Grund nimmt.
Mit anderen Worten kann man dieser Studie, die Sie für Ihren Antrag als Begründung heranziehen, nicht ernsthaft entnehmen, wo sich die vielen Menschen angesteckt haben. Wir können natürlich sagen: „Hier und da wird sich nicht angesteckt“, aber wir haben heute 18 000 Neuinfektionen. Wo kommen die her?
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Herr Vida.
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Herr Abgeordneter Redmann, Ihre Ungeduld verschafft mir mehr Redezeit, insofern bin ich dafür sehr dankbar. Ich hätte diese Ausführungen selbstverständlich ohnehin noch gemacht, gehe jetzt aber davon aus, dass sie mir nicht auf meine Redezeit angerechnet werden.
Ich kann Ihnen sagen, woher ich das habe bzw. warum wir der Auffassung sind, dass das der richtige Schritt ist. Es ist eben nicht so, Herr Redmann, dass Sie pauschal sagen können: 75 % sind unbekannt, und deswegen schließen wir dort einfach. – Sie müssen den Nachweis liefern, dass dort ein besonders erhöhtes Infektionsrisiko vorliegt. Genau so ist es!
Hierzu erlaube ich mir einen Verweis auf das gemeinsame Positionspapier von Wissenschaft und Ärzteschaft zum Umgang mit Covid-19 von gestern oder vorgestern. Da heißt es:
„Gesellschaftlich und infektionsepidemiologisch ist es besser, wenn Menschen sich in öffentlichen Räumen mit Hygienekonzept unter optimalen Bedingungen treffen, als dass sich die sozialen Begegnungen in vergleichsweise weniger sichere private Innenräume
– Sie haben das als „Mutti und Vati“ bezeichnet –
verlagern.“
Dieses Positionspapier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung repräsentiert 30 ärztliche Berufsverbände und sollte Gehör finden. Schließen wir die Gaststätten, dann kann genau das passieren, was wir nicht wollen: Statt im sicheren öffentlichen Raum trifft man sich ohne Abstand und ohne Maske privat – Mutti und Vati eben – und ist bis spät in die Nacht gesellig beisammen. Das wäre aber in der Pandemiebekämpfung das Schlechteste, was passieren kann.
Hier wurden seinerzeit erhebliche Hygienekonzepte von den Restaurants gefordert. Diese wurden aufgestellt, und sie wirken auch. Es wird aber ignoriert, dass diese Konzepte mehr wirken als die in anderen Bereichen. Sie jedoch schaffen Substitutionseffekte, indem Sie die in sicherer Umgebung erfolgten Kontakte in nicht kontrollierbare Bereiche verlagern, nämlich in den privaten Bereich, wo diese Sicherheiten nicht gegeben sind. Deswegen ist diese Maßnahme nicht nur nicht erforderlich, sondern eventuell sogar noch nicht einmal geeignet, weil sie durch die Substitutionseffekte ein viel höheres Risiko nach sich ziehen.
Schauen wir uns die Zahlen einmal genau an. Im September gab es eine Studie des RKI, in der auf erhöhte Streuungen geschaut wurde, also Kontakte, wo es zu mehr als zwei Infektionen gekommen ist. Dort gab es eine Dunkelziffer von 12 %. Die Dunkelziffer von 75 % bezieht sich auf Einzelinfektionen. Um noch mal auf die 75 % zurückzukommen – der Ministerpräsident hat es auch gesagt -: Sie können doch nicht bei 75 % unbekannten Ursprungs in einer statistisch unzulässigen Art und Weise einen überbordenden Anteil den Restaurants zurechnen!
(Zuruf)
– Doch, das tun Sie, indem Sie gerade erklärt haben, dass man das nicht weiß. Sie müssen bei einer Schließung rechtfertigen, dass der Eingriff verhältnismäßig ist. Was hier aber gemacht wird, ist pure Spekulation, ohne konkrete Zahlen zu haben. Im Hellfeld, also dem Bereich der bekannten Infektionen, finden nur 0,5 % der Infektionen in den Restaurants statt.
Es gibt einen unbekannten Bereich von 75 %. Da können Sie nicht in statistisch unzulässiger Art und Weise sagen: Das könnte das sein oder das könnte das sein. – Das ist reine Spekulation. Da könnten Sie auch sagen: „Die Dunkelziffer stammt aus dem ÖPNV“, oder: „Die Dunkelziffer stammt aus den Kitas oder aus dem Einzelhandel oder von den Friseuren.“ Mit der gleichen subjektiven Begründung könnten Sie dann auch deren Schließung fordern. Nein! Wenn es eine Messung gibt, die darlegt, dass es für diesen Bereich einen unterproportional niedrigen Infektionsgrad gibt, können Sie nicht aus einer großen Dunkelziffer in statistisch unzulässiger Weise eine derart große Betroffenheit herbeirechnen, um damit in verhältnismäßiger Art und Weise deren Schließung zu rechtfertigen.
Dem können wir nicht zustimmen und sehen uns hier unisono mit der Auffassung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung samt den dahinterstehenden Forscher- und Berufsverbänden, die der Vereinbarung in dieser Hinsicht widersprechen. Genau deswegen schlagen wir an dieser Stelle eine Abweichung vor. Es sollte klar sein, dass auf subjektiven Vermutungen basierend …
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Herr Abg. Vida (BVB/FW): Bitte schön.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Herr Abgeordneter Klemp, bitte.
Herr Abg. Klemp (B90/GRÜNE):
Vielen Dank, Herr Kollege Vida, dass Sie auch diese Zwischenfrage zulassen. Sie haben, genau wie zuvor die AfD, mehrfach auf die gemeinsame Erklärung der Ärzteschaft und der Wissenschaft von dieser Woche verwiesen.
Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass die gemeinsame Erklärung sehr kritisiert wird? Ist Ihnen bekannt, dass unter dieser gemeinsamen Erklärung offenbar auch Verbände stehen, die dem nie zugestimmt haben? Ist Ihnen bekannt, dass auch maßgebliche Ärzte sich dagegen wehren? Ich zitiere zum Beispiel Herrn Professor Dr. Sander von der Charité, der sagt:
„Diese Erklärung wird von keiner medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft und auch nicht von Klinikärzt*innen unterstützt.“
Das Positionspapier suggeriert ja, dass es eine generelle Position der Ärzteschaft wiedergebe.
„Eine ‚gemeinsame Position von Wissenschaft und Ärzteschaft‘ ist dies ganz sicher nicht!“
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Herr Abgeordneter Vida.
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Wissen Sie, so wie ich diesen Ärzten eine Position zubillige, billige ich sie auch anderen zu. Es geht nicht an, sehr geehrter Herr Klemp, dass Sie ein qualifiziertes Papier, maßgeblich von Prof. Streeck verfasst, hier pauschal verurteilen, nur weil es noch andere Positionen gibt.
Ich habe auch nicht das gesamte Papier wiedergegeben. Sie deuteten das an, indem Sie sagten, ich hätte daraus zitiert. Ein Papier, das von sämtlichen deutschen Tageszeitungen zitiert wird, das der breiten wissenschaftlichen Diskussion anheimgestellt wird, darf sicher auch hier im Landtag zitiert werden, ohne dass ich Ihre unterschwelligen Andeutungen hier ernsthaft kommentieren muss.
Es geht doch gar nicht darum, dass wir hier das Papier beantragen. Wir weisen darauf hin, dass Sie bei der Schließung von Gaststätten – auch laut den Zahlen des RKI, denen Sie folgen – die niedrigste Betroffenheit im Freizeitbereich tangieren. Außerdem werden dadurch Substitutionseffekte in den privaten Bereich hinein geschaffen. Das können Sie nicht widerlegen. Sie können zwar sagen, dass es Ärzte gibt, die dieses Papier kritisieren – da stehen noch ganz andere Sachen drin, die gar nicht Gegenstand unseres Entschließungsantrags sind -, aber dass es in diesem Bereich, in den Restaurants, vorbildliche Hygienekonzepte gibt, eine vorbildliche Nachverfolgung von Kontakten, das können Sie doch nicht ernsthaft bestreiten!
Unser einziger Kritikpunkt, den wir heute in den Antrag gießen – mündlich habe ich noch ein paar andere Punkte -, besteht darin, dass Sie nachweisen müssen, dass diese Einschränkung nicht nur verhältnismäßig im engeren Sinne ist, also im Hinblick auf die Wirtschaftsleitung, die dadurch beschädigt wird, sondern auch nicht dazu führt, dass Sie im privaten Bereich einen Anstieg an Infektionen provozieren, obwohl es sich um einen Bereich handelt, der ganz besonders gut den Hygienevorschriften folgt.
So etwas in einer parlamentarischen Diskussion vorzustellen, zu diskutieren, zu debattieren und in einem Punkt zu einem anderen Ergebnis zu kommen, das ist doch ein normaler Vorgang. Ich muss mich schon sehr wundern: Bei dieser Vereinbarung war der einzige Ministerpräsident – und das ist nicht gerade der, der uns täglich Fanpost schreibt -, der sich zu einer Protokollerklärung sozusagen hat nötigen lassen, der Ministerpräsident von Thüringen. Er hat die Größe gezeigt, zu sagen, dass das eine Sache ist, die die Landtage diskutieren müssen. Alle anderen sind nicht auf die Idee gekommen, eine solche parlamentarisch-demokratische Protokollerklärung abzugeben.
(Zuruf)
Ich nehme Bezug darauf, weil ich es für angemessen halte, darüber hier zu diskutieren.
(Ministerpräsident Dr. Woidke: Dafür braucht es doch keine Protokollerklärung, Herr Vida. Wir machen es; dafür sitzen wir doch hier!)
– Genau. Und wie Sie es machen, sieht man ja. Man erlaubt sich, aus einem Papier eines Teils der Ärzteschaft zu zitieren, und daraufhin wird in Abrede gestellt, dass man überhaupt zu unterschiedlichen wissenschaftlichen Betrachtungen kommen und daraus unterschiedliche politische Schlussfolgerungen ableiten kann. Aber dafür gibt es doch die Landtagsdebatte!
Wenn der Ministerpräsident mir jetzt in seiner charmanten Art zuruft: „Dafür machen wir Landtagsdiskussionen“, dann sage ich: Genau! Von dieser Möglichkeit mache ich Gebrauch und weise darauf hin, dass von den 20 Punkten des Katalogs, den Sie besprochen haben, ein Punkt so unverhältnismäßig wirkt, dass wir hier eine Änderung vorschlagen – so wie die Linke andere Vorschläge macht. Ich finde, es ist das Normalste von der Welt, dass man uns zumindest den Rahmen einer scheinbar ergebnisoffenen Diskussion zubilligt. Von dieser Möglichkeit machen wir Gebrauch.
Ich erwarte in diesem Zusammenhang die dritte Zwischenfrage.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Frau Abgeordnete Kniestedt.
Frau Abg. Kniestedt (B90/GRÜNE):
Vielen Dank. – Herr Vida, die Diskussion um all das ist nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig. Vor Ihnen steht gerade die Kneiperin, die, wenn sie ihren Heimatort wieder erreicht hat, Anträge auf Kurzarbeit für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schreiben wird, und die ab kommenden Sonntag eigentlich Kulturveranstaltungen durchführen wollte und sich daher auch mit Künstlerinnen und Künstlern ins Benehmen setzen muss, um bestimmte Dinge abzusagen oder zu verändern.
Ich habe mich in den letzten Tagen sehr mühsam zu diesen Beschlüssen durchgerungen und stehe zu ihnen. Kein Mensch hat bestritten, dass die Theater und die Restaurants großartige Hygienekonzepte haben. Ich finde nur, wir müssen den Leuten draußen sagen: Es geht nicht darum, Betreiber von Restaurants oder Künstlerinnen und Künstler zu bestrafen, sondern es geht darum, die Kontakthäufigkeit von Menschen zu begrenzen. Menschen begeben sich von A nach B, ins Restaurant und zurück. Darum geht es: in diesen Bereichen die Kontakte zu beschränken.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage.
Frau Abg. Kniestedt (B90/GRÜNE): S
ind Sie damit einverstanden, Herr Vida?
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön.
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Ich nehme zunächst zur Kenntnis, dass ich nicht der Einzige im Hause bin, der ein langes Statement am Ende doch noch in eine Frage umwandeln kann. Insofern sind wir uns da näher als gedacht.
Ich nehme ebenfalls zur Kenntnis, dass Sie sich zu den Beschlüssen durchringen konnten. Das vertieft zumindest den Eindruck, dass Sie das Papier doch ein bisschen früher hatten als wir, zumindest auf amtlichem Wege. Ich glaube, es kam vorhin um 09.33 Uhr per E-Mail. Wir haben es natürlich auf anderem Wege schon gelesen; aber der Einwand des Parlamentarischen Geschäftsführers der Linken, dass man das auf amtlichem Wege, auf ordentlichem parlamentarischem Wege bekommt, ist völlig legitim. Sie haben also offenbar, wie Sie sagten, daran mitgewirkt.
In der Tat ist es mir bekannt, dass es nicht nur um die Bemessung dessen geht, was vor Ort passiert, sondern auch um die Kontakte auf dem Wege dorthin. Nur, die Kontakte auf dem Weg dorthin begrenzen Sie doch gar nicht, und das zu Recht. Der ÖPNV bleibt als ein großer Träger der Kontaktmöglichkeiten, was wir logischerweise nicht kritisieren.
Sie schaffen ein erhöhtes Ausweichverhalten in den privaten Raum hinein, wo es keine Kontrollen geben kann und auch nicht geben sollte. Genau deswegen ist die Maßnahme nicht geeignet, im Saldo zu einer verbesserten Infektionslage zu führen, und genau deswegen haben Sie die 0,5 %. Da können Sie nicht 75 % pauschal draufschlagen oder einfach mit der Dunkelziffer argumentieren.
Denn auch die Bewegung hin zu diesen Punkten ist – zum Glück – nicht in einer Art und Weise reglementiert, dass Sie dort eine erheblich niedrigere Infektionszahl erzeugen könnten. Vielmehr ist festzustellen, dass die Hygienekonzepte, die Sie selber favorisiert und die Sie selber aufgestellt haben – ich erinnere mich noch daran, wie die Landesdatenschutzbeauftragte Kontrollen durchgeführt hat, ob nicht sogar zu viele Daten erhoben werden; auch darüber haben wir im Landtag diskutiert -, gerade in den Restaurants, weil sie dort einer öffentlichen Betrachtung ausgesetzt sind, in einer Weise wirken, dass man dies wirklich würdigen muss.
Da muss man auch entsprechende Schlussfolgerungen ziehen. Wenn man das aber nicht begründen und nicht zweifelsfrei und belastbar darlegen kann, dann können Sie den Eingriff in die Berufsfreiheit nach Artikel 12 Grundgesetz in dieser absoluten Form nicht vornehmen. Man könnte über verschärfte Hygienekonzepte, über noch größere Abstände reden, also graduell, aber nicht mit einem absoluten Ergebnis, welches eine Gleichstellung der Gastronomie mit Bereichen vornimmt, wo es nachgewiesenermaßen ein höheres Infektionsgeschehen gibt.
Ich nehme aber zur Kenntnis, dass wir zumindest darüber diskutieren dürfen. Deshalb erwarten wir hier in Übereinstimmung mit vielen Ärzten – wenn auch nicht mit allen; aber deren Stimme zählt auch -, dass ein Grundrechtseingriff in dieser Dimension auf einer fundierten Zahlenbasis erfolgt.
Das war übrigens auch der Grund, warum wir als BVB / FREIE WÄHLER die Sperrstunde und das Beherbergungsverbot kritisiert haben. Die Härte der Maßnahmen und die damit verbundenen Schäden und Einschränkungen der Grundrechte ließen sich mit den vorliegenden Zahlen zum Infektionsgeschehen nicht plausibel begründen. Folglich wurden die Maßnahmen, wenn auch nicht durch uns, aber durch die Verwaltungsgerichte gekippt, sodass dieser Gerichtsentscheid aus unserer Sicht nicht überraschend kam. Auch das waren Maßnahmen, die von Kanzlerin und Ministerpräsidenten beschlossen wurden. Das zeigt uns: Sogar hier ist niemand unfehlbar.
Deswegen sollte man auch nicht ohne Debatte und Analyse der Hinweise die Entscheidungen einfach eins zu eins übernehmen, nur weil sie in dem gleichen Kreis getroffen wurden. Die Beteiligung der Kanzlerin und die Beteiligung mehrerer Ministerpräsidenten entbindet Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, nicht von der Pflicht, die Vorschläge gründlich zu prüfen und gerichtsfest mit Zahlen zu begründen.
Nein, sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Stohn, es ist kein Wert an sich, dass Einhelligkeit bei der Ministerpräsidentenkonferenz herrschte. Das ist kein demokratischer Wert; ein Wert ist vielmehr, dass passgenaue Maßnahmen gefunden werden, die auch zahlenmäßig untermauert werden.
Deswegen war ich auch so irritiert, weil Sie davon sprachen, dass wir hier eine Debatte führen und juristische Abwägungen vornehmen; Herr Redmann hat ja eine kleine Vorlesung gehalten. Nein, der gerichtliche Schuss vor den Bug hinsichtlich des Beherbergungsverbots hat leider nicht zu einem Umdenken geführt. Stattdessen erklärte der Ministerpräsident noch vor wenigen Tagen im Fernsehen, dass der Beschluss des Gerichts ein falsches Signal sei.
Nun möchte ich den Ministerpräsidenten daran erinnern, dass es Aufgabe der Gerichte ist, Recht zu sprechen und Abwägungen vorzunehmen, nicht aber, Signale zu senden, schon gar nicht politische Signale. – Das haben Sie gesagt, oder nicht?
(Ministerpräsident Dr. Woidke: Ich habe es gesagt und ich stehe dazu!)
– Danke schön. Sie stehen dazu, und genau das ist die Situation. Sie können dazu stehen, aber dann habe ich auch das Recht, das hier zu kritisieren. Es ist die Aufgabe der Exekutive, Herr Ministerpräsident, diese Entscheidung zu würdigen und bei zukünftigen Handlungen zu beachten, und nicht trotzig zu sagen: Ich stehe dazu.
Es ist Ihre rechtsstaatliche Pflicht, die Maßnahmen an den gerichtlichen Entscheidungen zu messen.
Nun könnte man als Argument bringen: Die Unternehmer bleiben ruhig, sie werden nicht klagen, weil sie großzügig entschädigt werden. – Glauben Sie bitte nicht, dass das funktionieren wird! Der DEHOGA prüft bereits rechtliche Schritte.
Im Übrigen ist es schon einmal so gewesen, dass in diesem Hause den Unternehmen große Ankündigungen gemacht worden sind. Im März dieses Jahres versprach Minister Steinbach, dass mit finanzieller Hilfe dafür gesorgt werde, dass die Kleinunternehmer trotz des Lockdowns nicht zum Amt müssten. Nur Tage später sagte dann der Minister: Von einer Hilfe zu den laufenden Kosten war nie die Rede. Die Betroffenen können zum Amt gehen, um Lebensunterhalt zu beantragen. – Selbst unsere Anträge, dass Sie Ihre Versprechen doch noch einlösen sollten, wurden von der Koalition abgelehnt.
Die Unternehmer haben wegen dieser Aktion mehr Vertrauen in ihre Kunden und mehr Vertrauen in die Verwaltungsgerichte als in die Versprechen der Regierungsvertreter. Vielleicht schaffen Sie es ja, ein wenig verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wenn Sie sich diesmal an Ihre eigenen Zusagen halten und sich auf statistisch begründbare Maßnahmen beschränken. Zu wünschen wäre es für all die Betroffenen, die nach diesem Katastrophenjahr ohnehin am Rande der Insolvenz stehen.
Wir müssen die Zahlen immer ganz exakt analysieren, und wir müssen für Akzeptanz werben. Etwaige Hausbesuche zur Kontrolle oder gar ein Ankündigen eines solchen Vorgehens oder Aufrufe, Nachbarn zu melden, sind inakzeptabel und tragen zu Trotzreaktionen bei, die eine abgeklärte und umsichtige Befassung mit Corona geradezu verhindern und eher ins Gegenteil verkehren.
Es ist daher unsere Aufgabe, nötige und sinnvolle Maßnahmen zu finden und diese den Bürgern näherzubringen. Wenn jetzt Friseursalons offen bleiben, Kosmetikstudios aber schließen müssen, kann man das nur bedingt nachvollziehen. Wenn Profisport erlaubt bleibt, der Vereins- und Freizeitsport hingegen verboten wird, zum Teil mit unterschiedlichen Hallenbeschränkungen – je nach Trägerschaft, ob es eine gemeindliche oder eine kreisliche Halle ist -, sind das Dinge, mit denen Sie bei den Menschen auf kein Verständnis treffen werden.
Der Erfolg solcher Maßnahmen fußt darauf, dass die Menschen bereit sind, erneut enorme Belastungen zu tragen. Denjenigen, die diese Belastungen ertragen müssen, müssen wir beistehen. Es muss eine Perspektive geben, dass diese Maßnahmen wirken und nur so lange anhalten wie nötig. All die Pfleger, die Rettungskräfte, das medizinische Personal stehen wiederum vor großen Herausforderungen. Man kann jetzt schon sagen: Sie werden sich eine spürbare Sonderprämie zu Weihnachten verdient haben, die sie uns als Land wert sein sollten und die wir auch stemmen sollten.
Wir als BVB / FREIE WÄHLER werden immer dafür einstehen, dass sinnvolle und nötige Maßnahmen zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger ergriffen werden. Wir wollen denen beistehen, die besonders gefährdet sind. Da, wo Maßnahmen zu übergriffig werden, fordern wir Zurückhaltung.
Die heute vielbeschworene Disziplin, die Geduld und das Durchhaltevermögen der Brandenburger waren vorbildlich, und darauf können wir setzen. Sie können von uns aber auch erwarten, dass sich das auf Maßnahmen beschränkt, die erwiesenermaßen notwendig und wirkungsvoll sind.
Lassen Sie mich abschließend sagen, und zwar im Widerspruch zu dem, was einige gesagt haben: Wir wollen nicht lernen, mit dem Virus zu leben, sondern wir wollen es besiegen. Daher komme ich an dieser Stelle noch auf einen anderen Aspekt, der mir sehr wichtig ist: Unsere Hoffnung und unsere Gebete sind bei all den Forschern weltweit, die im Akkord an einem Impfstoff arbeiten. Auch ihnen gelten unsere Hochachtung und unser Dank.
Wir hier im Landtag tun gut daran, die Festlegungen der Konferenz sinnvoll umzusetzen. Sinnvoll heißt aus unserer Sicht, vieles davon umzusetzen und zeitnah auf den Weg zu bringen, aber die Gaststätten in Brandenburg offen zu halten. – Vielen Dank.