Rede von Matthias Stefke in Textform:
Herr Abg. Stefke (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen! Auch die Fraktion BVB / FREIE WÄHLER wünscht Ihnen allen hier im Haus und Ihnen allen im Land ein gesundes neues Jahr!
Wir beraten heute über die kommende und dann vierte Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen im Land Brandenburg. Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung: Für weitere drei Wochen wird ein harter Lockdown verordnet, der die Wirtschaft, insbesondere kleine Unternehmen, Soloselbstständige und Angehörige der freien Berufe, erneut mit voller Wucht trifft. Das ist nicht vermittelbar, solange die Zusagen zu finanziellen Hilfen seit November nicht eingehalten werden. Immer wieder wird auf die Notwendigkeit der Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung hingewiesen – die ausbleibenden Zahlungen dienen diesem Ziel ganz sicher nicht.
Es wäre einfach, sich der allgemeinen – und teils berechtigten – Kritik anzuschließen, die in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten geäußert wurde. So einfach machen es sich BVB / FREIE WÄHLER aber bekanntlich nicht. Wir schauen uns – wissend, dass keine einfachen, sondern folgenschwere Entscheidungen zu treffen sind – genau an, welche Regelungen verlängert wurden oder neu hinzugekommen sind. Kritische Anmerkungen und Gegenvorschläge, Frau Ministerin Nonnemacher, sind kein Gemecker, sondern Aufgabe einer konstruktiven Opposition – und so verstehen sich BVB / FREIE WÄHLER bekanntlich.
Die allermeisten Regelungen aus der Dritten Eindämmungsverordnung sollen einfach nur verlängert werden. Und darin besteht aus unserer Sicht durchaus ein Problem. Die Notwendigkeit der Akzeptanz hatte ich bereits kurz angesprochen. Diese Akzeptanz droht nicht nur verloren zu gehen, wenn die Zusage, finanzielle Einbußen zeitnah auszugleichen, nicht eingehalten wird. Auch wenn Maßnahmen nicht auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft und ihre Wirksamkeit nicht nachgewiesen wird, halten sich die Menschen irgendwann nicht mehr daran. Und da hat eine mehrfach erhobene Forderung von BVB / FREIE WÄHLER weiterhin ihre Berechtigung, die ich gerne noch einmal vortrage:
Die Notwendigkeit der Verlängerung bisheriger Maßnahmen oder Einführung neuer Maßnahmen lässt sich dann begründen, wenn man zu einem hohen Prozentsatz die wahrscheinlichen Infektionsorte identifiziert hat. Es ist nun wirklich an der Zeit, dass hierzu aussagekräftige wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag gegeben werden.
Sie wissen nicht genau, wo sich die Menschen infizieren, und deshalb machen Sie so gut wie alle Wirtschafts- und Lebensbereiche dicht und verlängern diese drastischen Maßnahmen immer wieder. Das ist kein Vorgehen, das in der Bevölkerung Vertrauen schafft. Deshalb kritisieren wir, dass die vergangenen Monate vom Bund, aber auch von unserer Landesregierung nicht dazu genutzt wurden, Erkenntnisse darüber zu gewinnen. Wir erwarten, dass angesichts so weitreichender Maßnahmen endlich eine fundierte Infektionsumfeldanalyse erstellt und vorgelegt wird; die aktuelle ist vom August letzten Jahres.
Da bin ich dann auch bei offenkundigen Widersprüchen der bisher gültigen Eindämmungsverordnung, die jetzt fortgeschrieben werden soll: Friseursalons sollen weiterhin geschlossen bleiben, obwohl doch gerade dieses Handwerk eine vorbildliche Rolle in Sachen Hygienekonzept eingenommen hatte. Dennoch wird ihnen die Gewerbeausübung untersagt. Was sind die Folgen? Die Menschen warten mehrheitlich nicht ab, bis sie wie Robinson Crusoe aussehen. Sie gehen zu Friseuren nach Hause, wo wohl nicht nach Hygienekonzept gearbeitet wird und wo demzufolge ein viel höheres Infektionsrisiko besteht, von den Steuerausfällen einmal ganz abgesehen.
Nächstes Beispiel, die Beschränkungen hinsichtlich der Zusammenkünfte im privaten Kreis: Es ist lebensfremd, dass sich Angehörige eines Hausstandes mit nur einer Person eines anderen Haushalts treffen dürfen sollen. Es gibt so viele Gründe für notwendige Ausnahmen von dieser Regelung. Daher sollte man die Regelung lebensnaher gestalten, erst recht, wenn die Kontrolle so gut wie unmöglich ist.
Und noch eines: Diese Regelung führt sich selbst ad absurdum, weil sie – wie im Grunde auch die bisherige – nicht konkret genug definiert ist. Der tiefere Sinn und Zweck der Übung soll sein, die Zahl der Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Ich kann mich aber theoretisch in meinen vier Wänden mit Dutzenden Menschen am Tag treffen, sofern sie mich alle nacheinander und nicht gleichzeitig besuchen.
Nicht anders sieht es bei den vorgesehenen Bewegungseinschränkungen aus: im Grunde nicht kontrollierbar, höchstens mit hohem Polizeieinsatz. Die Frage, von welchem Ort aus sich ein Radius von 15 Kilometern bemisst, sowie die diversen Ausnahmeregelungen in den verschiedenen Paragrafen der Verordnung stellen die Bürgerinnen und Bürger wie die Kontrolleure vor enorme Herausforderungen. Wir halten dieses Mittel ob des hohen Aufwandes und ungewisser Erfolgsaussichten für ungerechtfertigt und verzichtbar – zumal wir alle sicherlich das gemeinsame Ziel haben, Eindämmungsverordnungen generell in einem überschaubaren Zeitraum überflüssig zu machen.
Eine sinnvolle Ergänzung halten wir hingegen aufgrund zahlreicher Rückmeldungen aus der Bürgerschaft in § 4 für angezeigt. Es sollte dort in einem Punkt noch präzisiert werden, dass Einkäufe und Besorgungen für den täglichen Bedarf beispielsweise im Rahmen der Nachbarschaftshilfe auch für Personen möglich sind, welche keine Angehörigen oder Pflegebedürftigen, sondern beispielsweise „nur“ krank oder mobilitätseingeschränkt sind.
Unser aller Hoffnungen liegen auf einer zügigen Durchimpfung von 60 bis 70 % der Bevölkerung – selbstverständlich auf freiwilliger Basis. Hierfür waren die Vorbereitungen des Gesundheitsministeriums genauso mangelhaft wie die des Bildungsministeriums auf die Schließung von Kitas und Schulen sowie das Homeschooling und den digitalen Fernunterricht. Die Auswirkungen auf die Betroffenen sind zu schwerwiegend, Frau Nonnemacher und Frau Ernst, um gravierende Probleme als Prozesse eines lernenden Systems zu verharmlosen, welches aber von Tag zu Tag besser werde. Wenn man sich die Organigramme Ihrer beiden Ministerien anschaut, hat man die Erwartung, dass es besser funktionieren müsste.
Da wir eine konstruktive Oppositionskraft sind, hier nur fünf Anregungen, die wir empfehlen, möglichst kurzfristig in Umsetzung zu bringen:
Erstens: Verstärken Sie schnellstmöglich die Gesundheitsämter für die zeitnahe Kontaktnachverfolgung, wenn nötig auch durch Entsendung von Landespersonal.
Zweitens: Ändern Sie unverzüglich das Verfahren zur Terminvergabe für Impfungen an unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Online- und Hotline-Anmeldung müssen funktionieren; gegebenenfalls müssen Terminvergaben – wie in anderen Bundesländern auch – per Brief verschickt werden. Es war ein Fehler, die 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung dafür zu nehmen.
Drittens: Stocken Sie umgehend die mobilen Impfteams personell und mit Sachmitteln auf.
Viertens: Starten Sie am besten morgen eine Aufklärungswerbekampagne, um eine Impfstrategie, wenn es eine solche denn gibt, zum Erfolg zu führen.
Und fünftens: Lassen Sie endlich wissenschaftlich fundiert untersuchen, wo die tatsächlichen Infektionsorte sind, um bald Bereiche – vor allem unserer Wirtschaft – wieder hochfahren zu können, in denen die Infektionsgefahr eher gering ist.
Dies wird voraussichtlich nicht die letzte Debatte zum Thema sein. Wir verbinden diese Aussicht aber mit der klaren Erwartung, dass die Landesregierung bei der nächsten mehr vorzuweisen hat als eine im Kern fortgeschriebene oder nur um fragwürdige Punkte ergänzte Eindämmungsverordnung.
Ganz kurz zum Entschließungsantrag der AfD-Fraktion: Wie man angesichts der steigenden 7-Tage-Inzidenz auf die Idee kommen kann, die Aufhebung sämtlicher einschränkender Maßnahmen zu beantragen, erschließt sich uns nicht, und wir halten das auch nicht für verantwortbar. Wir lehnen den Antrag deswegen ab.
Ein Wort möchte ich noch zu Herrn Dr. Berndt sagen: Sie hatten in Ihrer Rede, gewandt an Frau Ministerin Nonnemacher, auch das Problem von krebskranken und herzkranken Patienten angesprochen. Ich finde, wir sollten die eine Gruppe nicht gegen die andere ausspielen. Herr Dr. Redmann hat angeführt, dass es im Land Brandenburg sehr wohl auch Intensivbetten für Patienten mit anderen Erkrankungen gibt. Und ich will Ihnen sagen, wie es mir vorkommt, was Sie gerade geschildert haben: Es kommt mir so vor, als wenn ein Kreuzfahrtschiff mit mehreren Tausend Passagieren auf hoher See in Seenot geriete, zu sinken drohte, der Kapitän die Passagiere aufforderte, sich in die Rettungsboote zu begeben, hinzufügte: „Frauen und Kinder zuerst!“, Sie aber vom Oberdeck riefen: „Warum nicht die Männer?“
Das sollten wir so in diesem Land nicht handhaben. Wir können eine solche Vorgehensweise, wie Sie sie hier empfehlen, wirklich nicht unterstützen. Wir lehnen das ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.