Rede von Péter Vida in Textform:
Herr Abg. Vida (BVB/FW): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Es sind alltägliche Entgleisungen, sogenannter Alltagsrassismus, antisemitische Ausfälle, die uns in Brandenburg in immer größere Sorge versetzen. Manchmal sind es Äußerungen, über die man zweimal nachdenken muss, über die man manchmal perplex ist, bei denen man dann aber merkt, wie geschickt sprachlich getarnt Relativierungen und Grenzüberschreitungen stattfinden.
Deshalb muss eine Verfassungsänderung gut gestaltet, gut überlegt sein, denn sie steht für die Grundfesten unseres Zusammenlebens, für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Wenn wir im Abstand von einigen Jahren immer wieder Änderungen an der Verfassung vornehmen, prägt sie unser Miteinander für eine lange Zeit. Sie steht für die Werte, die wir teilen, und die Weltsicht, für die wir stehen. Welches Bild unseres Gemeinwesens gezeichnet wird, werden wir mit einer Werteentscheidung in der Verfassung manifestieren.
Dies waren und sind die Leitfragen für BVB / FREIE WÄHLER bei der richtungsweisenden Entscheidung: Machen wir eine Verfassungsveränderung? Was sind dabei unsere inhaltlichen Triebfedern? Es geht um klare Werteentscheidungen, hinter denen man steht und von denen man glaubt, dass die Menschen in unserem Land das auch so sehen. Nach Beurteilung dieser Sachund Wertefrage werden wir die Vorschläge der Koalition bewerten, und wir hoffen, dass danach auch unsere Vorschläge bewertet werden.
Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, dass das friedliche Zusammenleben in der Verfassung als eine der Grundfesten unseres Landes konkreter gefasst werden muss. Das Unwesen des Antisemitismus nimmt immer neue, hässliche und auch präsentere Formen an, manchmal versteckt als sogenannte Israelkritik über Parteigrenzen hinweg, von Schulhofpöbeleien bis hin zu harten Beschimpfungen und Volksverhetzungen auf der Straße oder sogar Gewalttaten. Hier braucht es ein unmissverständliches Zeichen, dass Brandenburg dies von Staats wegen verurteilt und so ein klares Bekenntnis zur Gleichheit der Menschen und zum Schutz derer, denen manche dies absprechen wollen, ablegt. Wer sich antisemitisch äußert, wer dies schürt, hat nicht eine andere Meinung, sondern ist Gegner des Wertekanons Brandenburgs.
Dies so konkret festzuschreiben ist ein hehres Ziel und ist dringend geboten. Wir sind uns hierin mit dem Moses-MendelssohnZentrum, dem Abraham Geiger Kolleg und vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren einig, denn in der Tat: Antisemitische Straftaten haben seit 20 Jahren ein neues Hoch erreicht, und das nicht nur deutschlandweit, sondern auch ganz explizit in Brandenburg, wie jüngst die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus berichtete. Verschwörungstheorien mit antisemitischem Kerngehalt grassieren immer mehr. Israelhass wird im Zuge der Nahostkonflikte auf die Straßen getragen, und nicht wenige Selbsthilfegruppen berichten uns, dass immer häufiger Judenhass und rechtsextreme Äußerungen verharmlost werden.
Informationen der Landesregierung und des Verfassungsschutzes machen deutlich, dass sich neue Formen auftun und dies stets mit Verharmlosungen und Grenzüberschreitungen beginnt. Wir tun daher gut daran, dem entgegenzutreten.
Deswegen, meine Damen und Herren, betrübt es mich umso mehr, dass in diesen Wochen, in denen wir dieses wichtige Zeichen diskutieren, in meiner Heimatstadt Bernau schlimme, das Dritte Reich verharmlosende Aussagen im politischen Raum von manchen für salonfähig erklärt werden. Dagegen müssen wir aufstehen: gegen Verharmlosung, gegen Beschönigung, vielmehr mit klarer Stimme gegen rechtsextreme Chiffren, gegen bewusste Grenzüberschreitungen.
Wir sind uns mit Vertretern der jüdischen Gemeinden und allen zivilgesellschaftlichen Akteuren gegen Rechtsextremismus einig, dass man solchen Anfängen wehren und solchen Verharmlosungen entschlossen entgegentreten muss.
Erlauben Sie mir diese persönliche Äußerung: Wenn in der Stadtverordnetenversammlung Bernau Sätze wie „Man kann das Dritte Reich betrachten, wie man will; Geschichte ist immer Geschichte der Sieger, und die zwölf Jahre sind nun mal passiert“ in laufender Sitzung geäußert und von mehreren Kommunalpolitikern verteidigt und für harmlos erklärt werden, erfüllt einen das mit Sorge und muss auch an dieser Stelle kritisiert werden.
Wir sind dankbar, dass die Menschen, die für ihre Kritik an solchen Äußerungen attackiert werden, bei Institutionen wie dem Toleranten Brandenburg und den Mobilen Beratungsteams Hilfe bekommen und ihnen das eindeutige Signal gesendet wird: Ihr seid nicht allein. Wir stehen zu euch. – Genauso wie wir zur Stärkung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur stehen. Ja, wir haben eine historische Verantwortung, jenes Menschheitsverbrechen zu sühnen, den Beitrag zu leisten, den wir leisten können, und wir wollen das einst florierende und bereichernde jüdische Leben in Brandenburg wieder in seine alte Verfassung versetzen.
Wir als BVB / FREIE WÄHLER sind stolz auf unsere enge Zusammenarbeit mit jüdischen Gemeinden. Wir möchten, dass sich Juden von der Uckermark bis Elbe-Elster, von Wittenberge bis in die Lausitz in Brandenburg heimisch fühlen. Und wir wollen dabei mehr als nur ein Symbol: mehr und mehr Konkretes.
Wir wollen ein Bekenntnis dazu, das jüdische Leben wiederzubeleben und zu stärken, zugleich aber auch die Stärkung jüdischer Kultur explizit in der Verfassung verankern. Denn ja, es braucht einen Verfassungsanspruch auf eine stärkere Unterstützung. Nahezu alle Vereine, Gemeinden, Verbände weisen uns regelmäßig darauf hin, dass ihnen die Mittel fehlen. Es braucht bessere Gemeinderäume in Frankfurt (Oder), Oranienburg, Bernau, Synagogen auch außerhalb der großen Städte. Gerade im Bereich Migrations- und Sozialberatung wird dort viel geleistet oder – ganz praktisch – wenn es gilt, gerade Älteren zum Beispiel Hebräisch-Kurse anzubieten. Deswegen braucht es eine in der Verfassung verankerte Grundlage, hier konkret auch Mittel, also Förderung in Anspruch nehmen zu können.
Wir hoffen ausdrücklich, dass es seitens der Koalition Bereitschaft gibt, diesen konkreten Punkt – auch mit seinen finanziellen Auswirkungen – anzunehmen und explizit auch die Förderung jüdischer Kultur als Staatszielbestimmung in die Verfassung aufzunehmen.
Meine Damen und Herren, wir wollen mit dieser Verfassungsänderung neue Freundschaften zwischen den jüdischen Gemeinden und anderen Religions- und gesellschaftlichen Gruppen aufbauen und somit das Gemeinsame in den Vordergrund stellen; denn Freundschaft ist etwas Wichtiges im Leben. Genau deswegen möchten wir auch die Freundschaft zu Polen vertiefen.
Ja, es ist richtig, eine besondere Freundschaft auch besonders zu betonen. Denn eine enge Zusammenarbeit ist geboten und wir verdanken Polen sehr viel. Als vor 30 Jahren Außenminister Skubiszewski und Ministerpräsident Bielecki den Nachbarschaftsvertrag unterzeichneten, gaben sie uns einen großen historischen Vertrauensvorschuss. Und diesem ist, so glaube ich, gerade Brandenburg bisher in besonderer Weise gerecht geworden. Daher ist es auch folgerichtig, diese fortschreitende Freundschaft in den Verfassungsrang zu heben und – da gehen wir weiter als der Koalitionsantrag – dies in den klaren Rahmen der fortschreitenden europäischen Integration einzubetten. Denn die Freundschaft zu Polen existiert nicht in einem rein bilateralen Rahmen, sondern im europäischen Haus. Brandenburg und Polen profitieren so sehr von der Europäischen Union, dass es unseres Erachtens richtig ist, diesen Rahmen der Freundschaft auch als Grundsatz in der Verfassung festzuschreiben.
Deswegen schlagen wir zudem vor, dass sich Brandenburg in der Verfassung explizit zur Europäischen Union als Institution bekennt. Wir haben in der Verfassung Bezüge zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Sozialcharta. Das sind alles wichtige Regelwerke, die aber aus dem Europarat stammen und daher keinen ausreichenden Bezug zur Europäischen Union haben. Wir glauben, dass eine fortschreitende Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union gewinnbringend für Brandenburg ist, und deswegen ist es an der Zeit, die Europäische Union endlich auch in den Grundsätzen der Verfassung und nicht nur in den Verfahrensvorschriften des Landtages explizit zu verankern und sich zu ihr und zu Brandenburg als aktive mitgestaltende Region innerhalb der EU zu bekennen. Uns ist sehr wichtig, dass dieser Punkt auch Beachtung und Berücksichtigung findet. Meine Damen und Herren, dies sind die wesentlichen Wertentscheidungen, die wir als BVB / FREIE WÄHLER dem Parlament und den Bürgern Brandenburgs darbieten. Wir glauben, dass eine Stärkung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur samt klarer und unmissverständlicher Zurückweisung antisemitischer Tendenzen das ist, was dieses Land braucht – dringend braucht -, und dass eine sich vertiefende Freundschaft mit Polen in einem weiter zusammenwachsenden Europa unter dem Dach der Europäischen Union das ist, was Frieden, Wohlstand und Demokratie befördert. Denn wer nach Freundschaft mit den Völkern strebt, wird auch Freundschaft ernten. Wenn Sie das auch so sehen, würden wir uns über Ihre Zustimmung sehr freuen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit