Rede von Matthias Stefke in Textform:
Herr Abg. Stefke (BVB/FW):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen! Vor allem das Ende des Zweiten Weltkriegs machte die Notwendigkeit eines wie auch immer gestalteten europäischen Bündnisses für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Kontinents und für eine dauerhafte Friedenssicherung deutlich.
Heute gibt es ein solches Bündnis, in dem 27 von 47 europäischen Staaten Mitglied sind, organisiert in der Europäischen Union, bekannt unter dem Kürzel EU. Deren drei wichtigste Organe sind das Europäische Parlament, der Rat der EU und die Europäische Kommission. Darüber hinaus gibt es vier weitere: Den Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Rechnungshof und den Europäischen Auswärtigen Dienst.
Das Europäische Parlament vertritt die Belange der Bevölkerung. Der Rat der Europäischen Union, auch Ministerrat genannt, ist die Vertretung der Regierungen der Mitgliedsstaaten. Die Europäische Kommission ist quasi die Exekutive, die Gesetze, Verordnungen und Richtlinien entwirft und nach Beschlussfassung durchzusetzen hat. Hand aufs Herz: Wie viele unter uns, die nicht dem Europaausschuss angehören, könnten die drei wichtigsten EU-Institutionen und ihre Aufgaben oder die Mechanismen ihres Zusammenwirkens sicher benennen?
Nicht viel anders sieht es sicher bei den drei Säulen aus, auf denen die EU beruht, oder auch was die wichtigsten Verträge betrifft, die auf dem Weg zur heute 27 Mitglieder umfassenden Staatengemeinschaft geschlossen wurden. Sicher, von den Römischen Verträgen, dem Vertrag von Maastricht, dem Vertrag von Lissabon und der Grundrechtecharta hat man schon mal gehört – aber könnten Sie aus dem Stand heraus die Frage beantworten, was genau diese Verträge beinhalten?
Wie groß ist der EU-Haushalt, und wofür wird das meiste Geld ausgegeben? Welche Vorteile hat Deutschland konkret von der EU? Oder sind wir nicht einfach nur der größte Nettozahler, und die übrigen 26 Mitgliedstaaten profitieren davon? Fragen über Fragen, und ich meine das gar nicht vorwurfsvoll oder will schlauer tun, als ich bin bzw. vor der Mitgliedschaft im Europaausschuss war.
Ich gebe zu: Auch nach zwei Jahren Mitgliedschaft in diesem Ausschuss gibt es noch Bereiche, die ich noch nicht kenne oder noch nicht verstanden habe, aber ich habe die Bereitschaft, die Neugier und das Interesse, sie kennenzulernen und zu verstehen. Wenn nun gern behauptet wird, dass die 88 Abgeordneten dieses Landtags einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, dann können wir rückschließen, dass auch viele Brandenburgerinnen und Brandenburger vieles nicht über die EU wissen. Dies wiederum bietet Raum für diejenigen, die die EU mittels Fake News diskreditieren wollen.
Nein, so wie die EU bzw. ihre Institutionen derzeit organsiert und strukturiert sind, ist es nicht optimal. Es gibt Bereiche, die reformiert werden sollten. Einen Bereich will ich nennen: Dass das Initiativrecht für Gesetze ausschließlich bei der EU-Kommission liegt und das EU-Parlament die Kommission lediglich auffordern kann, einen bestimmten Vorschlag zu unterbreiten, scheint aus der Zeit gefallen und nicht die reine Lehre parlamentarischer Demokratie zu sein. Ein weiteres Beispiel ist das Prinzip zur Wahl des Kommissionspräsidenten bzw. der Kommissionspräsidentin. Weitere Beispiele ließen sich finden.
Trotz aller berechtigten Unzufriedenheit über die Schwerfälligkeit des Tankers EU und trotz der Notwendigkeit von Reformen gibt es ein unschlagbares Argument für das Festhalten an einer Europäischen Union an sich, wie auch immer sie ausgestaltet sein mag: über 75 Jahre Frieden auf unserem Kontinent. Wir wollen nie wieder in Feindschaft mit unseren Nachbarn leben, und wir wollen nie wieder Krieg!
Deshalb ist es so wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern Europa näherzubringen und verständlich zu machen, sie von den Vorteilen zu überzeugen. Ebenso wichtig ist es, die Verbesserungsvorschläge anzuhören und, wenn möglich, auch in Umsetzung zu bringen. Diesem Anliegen dient unter anderem die Konferenz zur Zukunft Europas, die zunächst auf ein Jahr angelegt ist, aber nach unserer Überzeugung über 2022 hinaus fortgeführt werden sollte. Das gilt auch für Brandenburg mit dem am 28. Oktober begonnenen Bürgerdialog.
Damit die Finanzierung möglich wird, haben auch wir einen entsprechenden Antrag in die Haushaltsberatungen eingebracht. Ich bin sehr erfreut darüber, dass wir in der letzten Woche im AEE fraktionsübergreifend großes Einvernehmen darüber herstellen konnten.
Aus meiner Rede können Sie schlussfolgern, dass wir dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen werden – jedoch nicht ohne die Bemerkung, dass sich ein solches Anliegen immer gut für einen gemeinsamen Antrag aller Europa wohlwollend gegenüberstehenden Fraktionen dieses Hauses eignet, zu denen wir uns zählen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit