Rede von Péter Vida in Textform:
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Lage auf den Intensivstationen des Landes Brandenburg ist ernst: 27,2 % der betriebenen Intensivbetten sind – Stand heute – mit Coronapatienten belegt; das sind 200 Einzelschicksale und im Zweifel auch 200 Familien, die um ihre Angehörigen bangen. Und wir stellen fest, dass der Anteil der Coronapatienten stetig zunimmt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass andere Behandlungen teilweise in den Hintergrund treten. Wir erleben dabei in der Tat ein Déjà-vu: Genau vor einem Jahr lag die Quote bei 18,3 %, heute liegt sie – wie gesagt – bei 27,2 %, das heißt, 9 Prozentpunkte höher als vor genau einem Jahr.
(Zuruf: Trotz Impfungen!)
Was hat sich seitdem geändert? In Brandenburg lag das Maximum an belegbaren Intensivbetten laut DIVI-Intensivregister genau heute vor einem Jahr bei 1 083, inklusive Notfallreserve; aktuell liegt diese Zahl bei 968. Das sind also 115 Betten weniger.
Wie kann es sein, dass in der schlimmsten Pandemie, die wir erleben – mit den weitreichendsten Einschnitten in die Grundrechte, die immer mit dem möglichen Kollaps des Gesundheitssystems gerechtfertigt werden -, Intensivbettenkapazitäten zurückgehen? Uns ist bewusst, dass Pflegekräfte wegen der andauernden Belastung ihren Beruf beendet oder zumindest Arbeitszeiten reduziert haben. Das hat aber auch etwas mit dem Wegfall der Freihaltepauschale für Betten zu tun, der vor über einem Jahr beschlossen wurde.
Da stellt sich schon die Frage: Was tut die Bundesregierung, was tun die Landesregierungen und die Politik insgesamt, um diese Entwicklung zu beenden? Wieso wird nicht alles Menschenmögliche getan, um die Ursache des Pflegenotstandes zu beheben? Denn der Abbau der Intensivbettenkapazitäten aus welchen Gründen auch immer ist in diesen herausfordernden Zeiten schlichtweg nicht akzeptabel!
Meine Damen und Herren, vor genau einem Jahr war die Impfquote null; aktuell liegt sie bei 62,9 %. Damit sind wir zweites Schlusslicht im Bundesländervergleich. Noch im Mai 2021 – also vor gut einem halben Jahr – hieß es in Vorbereitung auf den damaligen Impfgipfel im Eckpunktepapier des Innenministeriums, dass mit Erhöhung der Impfgeschwindigkeit bis spätestens 21. September die Herdenimmunität in Brandenburg erreicht werden solle. Das war damals noch erklärte Politik der Landesregierung. Nichts dergleichen ist eingetreten. Dabei zeigte sich schon damals, in ersten Studien, dass die Impfeffektivität bei der dominanter werdenden Delta-Variante sinkt.
Was tat die Landesregierung in Reaktion auf diese Erkenntnis? Anstatt alles dafür zu tun, dass die Menschen sich impfen lassen können, wurden nicht nur, aber auch in Brandenburg Impfzentren unter Verweis auf mangelnde Effizienz und Effektivität geschlossen. Ein kapitaler Fehler, der sich nun rächt; denn wirtschaftliche Betrachtungskriterien hätten schon damals keine Rolle spielen dürfen!
Doch nicht nur das: Sehr unrühmlich kam „on top“ die Entscheidung hinzu, die kostenlosten Testmöglichkeiten zum 11. Oktober zu beenden. Das muss man sich wirklich einmal vor Augen führen! Meine Damen und Herren, in einer sich abzeichnenden vierten Welle, vor der alle gewarnt haben, werden kostenlose Testmöglichkeiten abgeschafft! Das wird schulterzuckend hingenommen; es wird in der Gesundheitsministerkonferenz kein Widerspruch erhoben, und so erleben wir, dass wir von den damals 59 Fällen, die wir am 11. Oktober hatten, mittlerweile bei über 5 000 sind. Die zweite kapitale Fehleinschätzung bzw. Fehlentscheidung; denn so hätten Infektionsketten früher erkannt und durchbrochen werden können! Dafür, meine Damen und Herren von der Koalition und der Landesregierung, tragen Sie Mitverantwortung; Sie haben die getroffene Entscheidung begrüßt und verteidigt.
Nun sind Sie es, die mit der Einberufung der heutigen Sitzung die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung für das Land Brandenburg feststellen wollen. Nun, die Entwicklung der Zahlen ist nicht zu bestreiten. Aber – das haben wir heute gehört, und den Entwurf der neuen Verordnung haben wir gerade erhalten – damit einhergehend soll es zu weiteren Einschnitten und Einschränkungen insbesondere für ungeimpfte Personen kommen.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, meine Damen und Herren: Ja, die Impfung wirkt, und ja, die Impfung bewirkt, dass schwere Verläufe, die Intensivbettennutzungsnotwendigkeit und genauso Todesfälle deutlich, deutlich unwahrscheinlicher werden. Da muss man auch begrifflich einmal genau schauen: Es wird immer gesagt, Ungeimpfte und Geimpfte können gleichermaßen erkranken. – Nein! Das richtige Wort heißt „ebenfalls“: Sie können ebenfalls erkranken, aber nicht gleichermaßen.
Betrachtet man – mein Vorredner hat es auch gesagt – die Anzahl der Ungeimpften und die der Geimpften auf den Intensivstationen und bemisst man das an bzw. vergleicht das mit ihrem Anteil an der Bevölkerung, so sieht man: Die Notwendigkeit der Nutzung von Intensivstationen ist für Ungeimpfte – je nach Region, je nach Krankenhaus – um den Faktor acht bis zehn erhöht. Deswegen ist es notwendig, die Statistik richtig zu lesen, und ist es platt und primitiv zu sagen: Na ja, Geimpfte können da ja auch landen. – Können sie, aber mit einem deutlich, deutlich, deutlich geringeren Faktor – es handelt sich nicht nur um eine Wahrscheinlichkeit, sondern um eine erwiesene Zahl -, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil. Genau deswegen – weil sie nun einmal die Verläufe weniger schwer ausfallen lassen und Todesfälle nahezu ausschließen – ist es richtig und notwendig, die Impfungen voranzutreiben; das ist ein Befund und keine Prognose.
Aber, meine Damen und Herren, das ist die eine Erkenntnis, die wir gewinnen. Das andere ist die Tatsache, dass die Grundrechte trotzdem für alle gelten. Und die gesellschaftliche Teilhabe für alle ist ein Wert für alle, und deswegen sind weitere Einschränkungen aus unserer Sicht nicht hinnehmbar. Wir erleben jetzt schon, dass Ungeimpfte erhebliche berufliche Einschränkungen erfahren und zumindest sprachlich in bestimmten Situationen ausgegrenzt werden und ihnen die Teilhabe an bestimmten Dienstleistungen, an bestimmten gesellschaftlichen Vorgängen verwehrt wird. Und ja, das erschüttert unser Grundverständnis.
Meine Damen und Herren, da heißt es immer: Ja, es ist aber unvernünftig, was die machen. – Vernunft und Unvernunft sind keine juristischen Kategorien, und wir bewegen uns hier in einem juristisch sehr, sehr sensiblen Bereich. Es mag unvernünftig sein, aber auch Unvernünftige dürfen einen Weihnachtsbaum kaufen; das war schon immer so.
Und die Politik selbst hat sich in den letzten zwei Jahren regelmäßig – ständig! – widersprochen, mein Vorredner hat es auch gesagt: Es gab Änderungen in der Meinung, in der Betrachtung, auch bei Experten. Alle Parteien, auch wir, haben sich mindestens einmal widersprochen oder den Kurs korrigiert, verändert. Jeder hat das getan. Es gab in der Pandemie ständig neue Einschätzungen, und das ist auch normal, das ist kein Vorwurf. Nur kann man es doch Leuten in dieser diffusen Situation mit ständigen Meinungsumschwüngen, Analyseumschwüngen nicht verübeln, wenn sie etwas zögerlicher sind als andere. Genau deswegen ist es besser, zu überzeugen – zu überzeugen mit Zahlen.
Da heißt es immer: Ja, wie können wir jetzt noch überzeugen? – Natürlich können wir das. Wir haben jetzt eine Zeit hinter uns, nach der man dokumentieren und mathematisch darlegen kann, dass Impfungen vor schweren Verläufen, vor Todesfällen schützen; das kann man den Menschen jetzt präsentieren. Man kann jetzt, nach weltweit achteinhalb Milliarden gesetzten Impfungen, auch darlegen, dass es eben in sehr, sehr, sehr seltenen Fällen zu Nebenwirkungen kommt. Genau das kann man jetzt präsentieren, genau das kann man aufzeigen. Damit kann man argumentieren, anstatt Menschen zu etwas zu zwingen oder sie schlechtzumachen.
Meine Damen und Herren, es war immer gesellschaftlicher Konsens, Minderheiten nicht auszugrenzen, und die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. Die Gastronomie beklagt das, weil dann eben nicht nur die Ungeimpften wegbleiben, sondern auch gemischte Gruppen von Geimpften und Ungeimpften nicht in die Gaststätten gehen. Wir erleben Einnahmeeinbrüche von bis zu 50 %.
Die sozialen Folgen dieser Debatten, dieser Auseinandersetzungen sind doch klar, und auch psychologische Folgen bleiben nicht aus. Und da habe ich kein Verständnis, wenn Kanzler Scholz sagt: Es liegt keine Spaltung der Gesellschaft vor, denn es ist ja eine Minderheit. – Meine Damen und Herren, es sind 15 Millionen Menschen, und das sind nicht alles Impfgegner, Verschwörungstheoretiker. Genau deswegen ist der Umgang in dieser Form nicht fair und schon gar nicht angemessen.
Und deswegen, meine Damen und Herren – die Diskussion ist nun omnipräsent -, möchte ich hier auch etwas zu der Debatte über die Impfpflicht sagen: Wir als BVB / FREIE WÄHLER möchten deutlich machen, dass wir eine allgemeine Impfpflicht ablehnen. Ehrlich gesagt finde ich die Diskussion, die dazu läuft, auch recht unehrlich. Würden heute alle Ungeimpften kommen und sagen „Okay, komm, wir lassen uns impfen“, würden wir sehen: Die Kapazitäten sind überhaupt nicht vorhanden, um sie in einer Geschwindigkeit zu impfen, mit der man die vierte Welle brechen könnte. Wir haben nicht einmal die Kapazitäten, um den Älteren in der nötigen Geschwindigkeit die erforderliche Drittimpfung zu verabreichen. In einer solchen Situation, in der die Kapazitäten überhaupt nicht vorhanden sind – das Problem ist nicht brandenburgspezifisch, aber auch hier vorhanden -, ist es nicht ehrlich, zu sagen, es scheitere an deren mangelndem Willen.
Meine Damen und Herren, die Politik hat immer betont, dass es keine Impfpflicht geben wird. Noch Anfang November, vor einem Monat, war auf den Seiten der Bundesregierung auf Platz eins der FAQs zu lesen, es handele sich um Fake News und eine Verschwörungstheorie, wenn behauptet würde, es werde in Deutschland eine Impfpflicht eingeführt. – Auf den Webseiten der Bundesregierung! Vertreter aller Parteien haben letztes und dieses Jahr immer wieder betont: Es wird keine Impfpflicht geben. – Und daran muss man sich messen lassen.
Nun kenne ich die Erklärungen, die kommen: Na ja, das war ja für die Gegenwart gesagt, nicht mit Wirkung für die Zukunft. – Nein, nein, das war mit Wirkung für die Zukunft so gesagt worden. Denn, es hätte ja keinen Sinn gemacht, es für die Gegenwart zu sagen, weil es in der Gegenwart einfach eine Zustandsbeschreibung ist, das muss man keinem versprechen.
Dann gibt es die Erklärung, die ich von immer mehr Politikerinnen und Politikern höre, die sagen: Ja, das haben wir zwar gesagt, aber nur unter der Bedingung, dass sich Menschen impfen lassen. – Nein, das war auch nicht so gesagt worden, das war bedingungsfrei gesagt worden. Denn die Aussage, Impflicht kommt nur dann nicht, wenn ihr euch impfen lasst, wäre ein Zirkelschluss, und deswegen, meine Damen und Herren: Es wurde ohne Bedingung mit Wirkung für die Zukunft zugesagt.
Wenn ich dann in seriösen Tageszeitungen in Deutschland und auch in Österreich lese, na ja, es gibt ja auch andere Länder, in denen die Impfpflicht schon in Kraft ist, Mikronesien, Tadschikistan, Turkmenistan – das wird dort ernsthaft als Beispiel gebracht -, meine Damen und Herren, ist das nicht unser Maßstab, an dem wir uns orientieren wollen. Unser Maßstab ist, dass es uns eben nicht zusteht, über andere den Stab zu brechen, dass es uns nicht zusteht, öffentlich darüber zu diskutieren oder zu urteilen, ob sich jemand aus lauteren oder unlauteren Motiven impfen lässt oder nicht impfen lässt. Gemachte Zusagen von Spitzenpolitikern müssen stehen; und man darf nicht in Diskussionen abgleiten, wie wir sie letzte Woche gehört haben: Gesundheitsminister Lauterbach sagt: Ja, Impfpflicht – aber es kommt ja niemand ins Gefängnis. – Oder Ministerpräsident Tobias Hans, Saarland – beim ZDF letzte Woche:
„Es ist wichtig, dass man eine klare Botschaft sendet den Ungeimpften: Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben!“
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Was sind das für Debatten? So überzeugt man doch keine Menschen, sondern man riskiert, dass man sie an undemokratische Strukturen verliert – und genau das wollen und müssen wir doch verhindern!
Wir halten es mit der bestehenden Rechtslage, nämlich keine allgemeine Impfpflicht zu verhängen und damit auch keine weitere Spaltung der Gesellschaft zuzulassen. Denn die Teilhabe auch der Minderheit, auch wenn es nerven mag, ist Teil einer zivilisatorischen Errungenschaft, die es auch zu schützen gilt. Und ich möchte deutlich sagen, dass die Forderung nach Beibehaltung der geltenden Rechtslage – das ist unsere Position – wahrlich keine exotische Position darstellt.
Es ist immer Aufgabe der Politik, nach milderen Mitteln zu suchen und größtmögliche Freiheit zu erhalten. Danach sollten wir streben. Daher Ja zur Ausweitung von Impf- und Testkapazitäten, Ja zum Überzeugen und zum Argumentieren mit Erfahrungswerten, die jetzt vorliegen, statt mit Pflicht oder Zwang.
Nun mag das anstrengender sein und ich will das auch anerkennen, aber das ist die Pflicht der Politik, wie wir sie verstehen. Daher, meine Damen und Herren, sollte Politik so arbeiten, so Entscheidungen treffen und vor allem auch so reden, dass das Weihnachtsfest für alle zu einem Fest wird, das es verheißt: nämlich ein Fest der Nächstenliebe, des Miteinanders mit Hoffnung für die Zukunft – und das für jeden von uns. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit