Péter Vida Redebeitrag zum Antrag der SPD „Aus Solidarität mit der Ukraine…“ – 23.03.2022

23. Mrz 2022

Rede von Péter Vida in Textform:

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Welt steht vor einer Eskalation ungeahnten Ausmaßes: ein Krieg in Europa, der bis vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten wurde und nun in aller Härte und vor allem unerbittlicher Schärfe geführt wird. Vor etwa einem Monat hat Russland ohne Not und vor allem ohne Grund die Ukraine angegriffen. Nicht wenige politische Kräfte und Parteien in Deutschland waren von dieser Entwicklung völlig überrascht, deswegen braucht es spätestens jetzt eine Antwort des kühlen Kopfes, geprägt von Humanismus und christlicher Nächstenliebe.

Um solche richtigen Maßnahmen zu ergreifen, ist es zunächst nötig, diese Entwicklung, diesen Krieg richtig einzuordnen. Es besteht kein Zweifel, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine handelt, und ich bin sehr glücklich und dankbar, dass zumindest in diesem Punkt, in dieser Bewertung weitgehende Einigkeit zwischen den politischen Parteien in Deutschland besteht.

Man muss sich vor Augen führen, was dieser Krieg – neben den humanitären Auswirkungen – für das Nationalbewusstsein der Ukraine bedeutet, ein Volk, welches in den letzten 30 Jahren intensives Nation Building betrieben hat – und dies stets getan hat, ohne andere Völker herabzusetzen, ohne sich über andere Völker zu erheben, und deswegen von dieser Entwicklung auch sehr stark geprägt war.

Die unendlichen Weiten des Landes mit den Getreidefeldern, die so symbolisch und identitätsstiftend auch in der Flagge ihren Niederschlag finden, vom Schwarzen Meer und Donaudelta bis hin zum Asowschen Meer mit all den verschiedenen klimatischen und auch geografischen Bedingungen – das war, auch wenn es im Alltag bei uns nicht immer präsent war, tiefstes Europa, und das ist es bis heute.

Wenn man, wie ich es getan habe, nach Tschernihiw im Norden der Ukraine fliegt, hat man die Möglichkeit, die Christi-Verklärungs-Kathedrale zu besuchen – die erste orthodoxe Kathedrale der Kiewer Rus, die erste russisch-orthodoxe Kirche, bis heute russisch-orthodoxe Kirche, fast tausend Jahre alt, die jetzt direkt an der Front liegt und nicht mehr als Gotteshaus dienen und genutzt werden kann – und all die das Land prägenden Monumente und Landschaften, die so wichtig waren, wichtig sind für die Bedeutung, für die Staatlichkeit der Ukraine. Das erwähne ich deswegen, weil Russland genau das in Abrede stellt: die Staatlichkeit, die Souveränität, die Unabhängigkeit. Und deswegen ist das – neben all den humanitären Katastrophen – auch so einschneidend für Europa und für das Land.

Maßgeblich neben all den symbolischen Aspekten ist natürlich das unmessbare Leid der unzähligen zivilen Opfer, die in ihren zerbombten Wohnhäusern, Schulen, Theatern eine bedrückende, eine erschütternde – und aus unserer Sicht eine beschämende – Situation zu ertragen haben.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns über diese Beurteilung einig sind, ist auch klar, dass die humanitären Auswirkungen mit klarer Brille gesehen werden müssen. Es braucht hier ein systematischeres Vorgehen, als es 2015, 2016 der Fall gewesen ist.

Wir erleben, dass der russische Angriff entgegen manchem Wunschdenken – das sage ich, ohne schwarzzumalen – sehr planmäßig verläuft: Es werden die Kraftwerke ausgeschaltet, die Versorgungsketten unterbrochen, und durch die Belagerung der Städte wird bei vielen für eine Zermürbung und vor allem Demoralisierung gesorgt, zumindest mittelfristig. Und so kommt es zu den Millionen von Flüchtlingen, deren Gros sich nicht in Deutschland befindet, sondern in Polen, in Ungarn, in Rumänien und – übrigens die meisten gemessen an der Einwohnerzahl – in Moldawien. Es ist davon auszugehen, dass diese Flüchtlinge lange bei uns bleiben werden – bleiben wollen, bleiben müssen -, weil in meiner Wahrnehmung dieser Krieg – und da gibt es nichts schönzureden – auf die Beendigung der Staatlichkeit der Ukraine gerichtet ist, und deswegen muss man das auch so klar benennen und entsprechend klare Maßnahmen ergreifen.

Wir erleben jetzt, dass Frauen mit Kindern in Panik fliehen, aus dem Lebensalltag gerissen werden. Deswegen gibt es über die humanitäre Entwicklung und ihre Beurteilung auch kein Vertun, und deswegen müssen wir daraus auch die richtigen Schlussfolgerungen für die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland ziehen. Aus 2015, 2016 zu lernen bedeutet, dass die Kommunikation zwischen den Landesbehörden, Kommunalbehörden und Ausländerbehörden in den Kreisen beschleunigt und verbessert werden muss. Dazu gehört es, die private Unterbringung zu fördern. Es ist doch offensichtlich und nicht zu leugnen, dass die Unterbringung in kommunalen Einrichtungen und ähnlichen Gebäuden bei Weitem nicht ausreicht – wir haben es hier mit einer weitgehend homogenen Gruppe zu tun, die gleiche Bedürfnisse religiöser, psychologischer Art hat, Frauen mit Kindern, die kommen, die auch eine besondere Entwicklung durchlaufen, besondere Bedürfnisse haben -, dass wir hier bei Weitem nicht die Unterbringungskapazitäten haben.

Genau deswegen haben wir den Antrag eingebracht und stehen dazu, dass es absolut notwendig ist, hier auch die private Unterbringung stärker zu unterstützen – nicht nur zu danken, zu loben, stolz darauf zu sein, sondern auch eine ganz konkrete Maßnahme zu ergreifen.

In unserem Antrag geht es nicht darum, irgendwelche Mietzuschüsse zu gewähren, sondern darum, die im Bereich des Betriebes, im Bereich der Unterstützung, im Bereich der Integrationshilfe absolut anfallenden Kosten mit einem kleinen Beitrag auszugleichen. Wenn andere Bundesländer wie Sachsen-Anhalt darüber nachdenken, solche Regelungen zu treffen und auf den Weg zu bringen, ist es absolut recht und billig und auch notwendig, das auch hier in Brandenburg auf den Weg zu bringen. Wir sind rein geografisch gesehen das Bundesland, in dem die meisten ankommen, und deswegen ist es absolut notwendig, hier auch ganz klar eine staatliche Hilfe zu gewähren und dazu zu motivieren, diese Privatunterbringung voranzubringen.

Und, meine Damen und Herren, Sie können nicht leugnen: Wir haben eine ganz andere Unterbringungsnotwendigkeit und auch -bereitschaft, als das 2015, 2016 der Fall war, zumindest in privaten Unterkünften, und genau deswegen ist es nur recht und billig, wenn hier der Staat, das Land Brandenburg, auch unterstützend eingreift. Meine Damen und Herren, die Bereitschaft in der Bevölkerung ist beispielgebend, und deswegen beantragen wir mit Fug und Recht, das auch entsprechend zu unterstützen.

Es braucht auch einen Ausbau der psychologischen und religiösen Beratung. Es kommt eine in Bezug auf ihre religiösen Bedürfnisse homogene Gruppe, und genau deswegen ist es auch nötig, entsprechend zu reagieren und dabei das nötige Augenmaß hinsichtlich der ukrainisch-orthodoxen und der russisch-orthodoxen Religionsgruppen zu wahren.

Meine Damen und Herren! Die schulische Integration muss genauso angegangen werden. Spätestens nach Ostern müssen passende Bildungs- und Sprachangebote unterbreitet und auch EU-weit gemeinsam Lösungen entwickelt werden. Dieses Mal besteht die Chance, die Lage EU-weit einheitlich zu beurteilen und auch gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen. Das war in der Vergangenheit ja nicht immer so.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einen Satz. Auch wenn man diese Lagebeurteilung teilt, darf man in der Beurteilung der energiepolitischen Auswirkungen durchaus unterschiedlicher Auffassung sein und auf Folgendes hinweisen: Solange wir uns nicht bundesweit einig sind, wie wir energiepolitisch darauf reagieren, solange mittlerweile Parteien von links über grün bis hin zu konservativen Kräften über Atomkraft, über Braunkohleverlängerung usw. debattieren – was wir ja nicht tun -, bedeutet die Tatsache, dass wir als BVB / FREIE WÄHLER mit Brandenburger Brille zu einer anderen Einschätzung darüber kommen, was die Auswirkungen dieser energiepolitischen Krise im Hinblick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien bedeuten, noch lange nicht, dass man sich deswegen den wesentlichen Kernen dieses Entschließungsantrags der Koalition entzieht, meine Damen und Herren.

Auch das gehört zum demokratischen Meinungsspektrum, zur Meinungsvielfalt. Insbesondere eignet sich die Beurteilung einer humanitären Krise, eines Angriffskrieges mit all seinen völkerrechtswidrigen Auswirkungen nicht, hier eine energiepolitische Debatte vorzuschalten und bestimmte Kräfte entsprechend zu bekritteln, meine Damen und Herren.

Natürlich gehört dazu aber auch eine Diskussion über den zukünftigen Umgang mit Russland. Ich glaube, es ist notwendig, eine realistische Lagebewertung vorzunehmen. Wir haben beobachtet, dass zunächst die ukrainische Luftwaffe, dann die Marine außer Kraft gesetzt wurden, dass auch zielgerichtet ein Landkorridor zwischen Weißrussland und der Krim gebildet wurde. Deswegen muss man nicht schwarzmalen, aber – wenn man Maßnahmen ergreifen möchte – die Lage realistisch beurteilen und auf Grundlage dieser realistischen Lagebeurteilung auch Maßnahmen ergreifen.

Dazu gehört für uns die klare Feststellung, dass es kein militärisches Eingreifen Deutschlands oder der NATO geben darf. Ich finde es ehrlich gesagt bemerkenswert bzw. bezeichnend, dass jene, die über Jahre hinweg den teilweisen Verfall der Bundeswehr schulterzuckend goutiert haben, jetzt die Ersten sind, die ohne breite gesellschaftliche Debatte einfach 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung durchwinken. – Sehen Sie es mir nach, das irritiert schon.

Meine Damen und Herren, Deutschland darf sich nicht in militärische Verwicklungen hineinziehen lassen, die NATO ebenso nicht. Bei den Sanktionen, bei den Hilfsmaßnahmen, bei der Lagebeurteilung, bei all den Maßnahmen, die ergriffen werden, gibt es ein einheitliches, geschlossenes Bild innerhalb der EU, aktuell auch innerhalb der NATO, sogar bis hin zu Australien. Der Fokus sollte weiter darauf liegen, mit einer Stimme zu sprechen und diese Einigkeit, die es selten in so einer Geschwindigkeit gegeben hat, nicht Maßnahmen zu opfern, die aus unserer Sicht zweifelhaft wären.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Abg. Vida (BVB/FW): Nein, danke schön. – Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, auch einige persönliche Eindrücke zu schildern. Ich habe vor einigen Jahren eine Woche im Gebiet Lugansk und Donezk verbracht, als das Separatisten-Regime bereits etabliert war – nicht in offizieller Mission, ich habe mir rein privat die Lage angeschaut.

Ich kann Ihnen sagen: Man sieht ja viele Bilder und viele Berichte. Wenn man das aber hautnah erlebt – diese zerbombten Häuser, diese verschlungenen Wege, allein der zerstörte Flughafen direkt an der Frontlinie in Donezk oder die leerstehende, damals noch nicht von Bombenangriffen getroffene Donbass Arena oder die verminten Wege, die zu all diesen bedeutenden Gebäuden führen -, wenn man das also erlebt und dann in Hördistanz von Mörsergranatenbeschuss Kinder auf Bolzplätzen spielen sieht, die sich mittlerweile an die Sache – wenn man so will – „gewöhnt“ haben, dann ist das eines der gespenstischsten Erlebnisse, die man in seinem Leben haben kann.

Diese Trostlosigkeit, diese Perspektivlosigkeit vieler Menschen, die ich dort erlebt habe, darf nicht um sich greifen und noch mehr Gebiete der Ukraine erfassen. Ich habe damals sogar in Lugansk viele Menschen erlebt, die hinter vorgehaltener Hand gesagt haben, dass sie von einer Wiedereingliederung in die Ukraine ausgehen oder auf diese hoffen, sich das aber nicht laut zu sagen trauen. Währenddessen stand ich atemlos daneben, als eigene Pseudo-Verwaltungsstrukturen der Volksrepublik aufgebaut worden sind: an jeder Straßenecke Militär, aber nirgendwo ein Rechtsstaat, den man hätte verspüren können.

Wenn man erlebt hat, wie Lebenspläne, wie Biografien, wie Freundschaften durchschnitten worden sind, meine Damen und Herren, sagt man aus noch stärkerer Überzeugung, dass all das nicht weiter Raum greifen darf, sondern schnellstmöglich enden muss.

Meine Damen und Herren, aus all den Gründen brauchen wir eine europäische Geschlossenheit mit Realitätssinn und Augenmaß, eine Geschlossenheit, die die humanitäre Hilfe über alles stellt und die Ideale betont, die unseren Wertekanon über Jahrhunderte geformt haben. Hierzu muss und hierzu wird Deutschland samt Brandenburg seinen Beitrag leisten – daran habe ich überhaupt keinen Zweifel, denn so erlebe ich die Menschen in unserem Land Tag für Tag.

Hierzu wollen auch wir BVB / FREIE WÄHLER im Rahmen unserer Möglichkeiten unseren kleinen Beitrag leisten. Ich würde mich freuen, wenn in der Beurteilung der großen Linien Einigkeit herrschte und die Demokraten gemeinsam das Notwendige täten: den Menschen mit Augenmaß, kühlem Kopf, Humanismus und – für die, denen sie gegeben ist – mit christlicher Nächstenliebe entgegentreten. Ich würde mich freuen, wenn wir uns von unserer besten Seite zeigten und dabei die eine oder andere parteipolitische Spitze, die eine oder andere parteipolitische Auseinandersetzung hinter uns ließen, das Einende sähen und unsere Werte über alles stellten. – Ich danke Ihnen für Ihre mich beehrende Aufmerksamkeit und wünsche einen guten weiteren Debattenverlauf. – Vielen Dank.

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