Versorgung mit Russischen Energierohstoffen unsicher – wie reagieren?

9. Mai 2022

Interfraktionelles Treffen der Fraktionen der Freien Wähler aus Bayern, aus Rheinland-Pfalz sowie BVB / FREIE WÄHER aus Brandenburg bespricht Energiepolitik in Anbetracht des russischen Angriffs auf die Ukraine – Resolution beschlossen

Der Angriff Russlands auf die Ukraine stellt die Versorgung Deutschlands vor eine erhebliche Herausforderung. Denn die günstige und in großer Menge verfügbare Energierohstoffe aus Russland bildeten bisher den wichtigsten Pfeiler der deutschen Energieversorgung. Doch nun ist die Versorgung aus dieser Quelle gefährdet. Wie können wir darauf reagieren? Wie kann die Unsicherheit der Lieferungen aus Russland kompensiert werden? Hierzu hielten die Landtags-Fraktionen der Freien Wähler aus Bayern und Rheinland-Pfalz sowie die BVB / FREIE WÄHER Fraktion aus Brandenburg ein interfraktionelles Treffen ab. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

 

Bedeutung der russischen Energierohstoffe

Die Primärenergieversorgung Deutschlands basiert noch immer zu zwei Dritteln auf fossilen Energieträgern. Jeweils rund 30% sind dabei Erdöl und Erdgas. Jeweils 9% entfallen auf Braunkohle und Steinkohle. Russland lieferte dabei vor dem Angriff auf die Ukraine 55% des Erdgases, 50% der Steinkohle und 35% des Erdöls. Erneuerbare stehen zwar seit Jahren im Fokus, decken aber trotz jahrzehntelanger Förderung mit hunderten Milliarden Euro bisher nur 16% Des Primärenergiebedarfs. Und damit nur halb so viel wie die Energierohstoffe aus Russland. Eine Umstellung auf Erneuerbare Energie zur Kompensation russischer Energielieferungen ist schon aus Sicht der Energiemengen kurzfristig unmöglich. Daher muss das erste, kurzfristige Ziel sein, neue Lieferanten zu finden um die unsicheren Lieferungen aus Russland möglichst weitgehend zu ersetzen.

 

Verbraucher durch Steuersenkungen auf Energie entlasten

Dass bisher vor allem russische Quellen für die Energierohstoffe genutzt wurden war vor allem eine Frage des Preises. Die räumliche Nähe und die Pipelines reduzierten die Transportkosten. So waren Energierohstoffe aus Russland günstiger als die Wettbewerber. Die letzten Bundesregierungen belasteten in den Vergangenen Jahren Kraftstoffe und Elektroenergie mit erheblichen und steigenden Steuern und abgaben. Angesichts der nun ohnehin extrem hohen Kosten machen diese ohnehin erheblichen Belastungen der Bürger und Unternehmen keinen Sinn. Die Bundesregierung soll daher die Steuern auf Kraftstoffe und Energie wieder senken.

 

Genug andere Lieferoptionen für Steinkohle

Bei Steinkohle sei die Umstellung am einfachsten gewesen. Zwar lag Russlands Anteil vor dem Krieg bei rund 50%. Doch der Markt für Steinkohle habe eine Vielzahl von Lieferanten. Der Transport erfolgt vorwiegend über flexible Transportmittel wie Schiff und Bahn. Bereits zwei Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Anteil russischer Lieferungen faktisch bedeutungslos.

 

Erdölversorgung mit regionalen Problemen

Schwieriger ist die Lage bei Erdöl. Hier gibt es erheblich Lieferungen über flexible Tanker. Doch in einigen Regionen ist man auf unflexible Pipelines angewiesen – die zumeist aus Russland gespeist werden. So ist es kein Zufall, dass sich in der EU zwei Binnenstaaten ohne eigene Ölhäfen am vehementesten gegen den Stopp russischer Öllieferungen aussprachen.

Auch in Deutschland sind insbesondere die Raffinerien in Leuna und Schwedt aktuell noch auf russisches Erdöl angewiesen. Zukünftig muss im Hafen von Danzig Erdöl aus Tankern in diese Pipelines eingespeist werden. Die Raffinerien müssen derweil auf andere Ölsorten umgestellt werden. Dennoch könnte sich Deutschland von den ursprünglich 35% russischer Öllieferungen relativ schnell abkoppeln – wenn die Raffinerien mitspielen. Da sich PCK Schwedt de facto in russischem Staatsbesitz (Rosneft) befindet ist die Kooperationsbereitschaft dort im Gegensatz zu Leuna jedoch gering.

 

Verzicht auf russisches Erdgas am schwersten

Das mit Abstand größte Problem bei der Abkopplung von russischen Energierohstoffen stellt Erdgas dar. Russland ist der größte Lieferant für die EU. Der Hauptlieferweg für Europa sind dabei Pipelines, die sich nicht einfach auf neue Quellen umstellen lassen. Viele Staaten haben nicht einmal eigene Flüssiggasterminals als Alternative. Darunter trotz Meereszugang auch Deutschland, wo das erste Terminal wohl erst in mehreren Monaten einsatzbereit sein wird. Selbst eine teilweise Versorgung wäre bis dahin nur über die Terminals von Nachbarländern wie die Niederlande oder Polen möglich.

Kurzzeitig sieht Hofmeister zwar Entspannung bezüglich der Gasversorgung. Im Sommerhalbjahr sei man zur Deckung des Verbrauchs nicht auf die Lieferungen aus Russland angewiesen. Entwarnung kann dies aber nicht geben: Denn zum Füllen der Gasspeicher für den Winter reichen die nicht-russischen Lieferungen nicht aus. Zumal einige der größten Speicher sich in russischem Besitz befanden und bereits im Sommer und Herbst 2021 nicht aufgefüllt wurden.

Sobald der Energie- und Heizbedarf im Herbst wieder steigt, wird das Problem akut werden. Daher muss bereits jetzt Vorsorge getroffen werden. Diese Kontrolle strategisch wichtiger inländischer Reserven kann nicht fremden Staaten überlassen werden. Ein kurzfristiger Komplettausstieg aus russischem Erdgas wäre jedoch nur unter gewaltigen Kosten sowie wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen machbar und ist daher zu vermeiden.

 

Senkung des Erdgasbedarfs schwer

Es gibt drei Hauptabnehmer für Erdgas. Zum einen die Industrie, die teilweise Erdgas als chemischen Rohstoff braucht. Viele andere Betriebe benötigen auch die günstige (Wärme-)Energie für ihre Produktionsprozesse. Mit der teuren Elektroenergie in Deutschland wären sie international nicht wettbewerbsfähig.

Ein zweiter Anwendungsbereich sind Heizungen, insbesondere die privater Haushalte. Einsparungen wären im Einzelfall durch Umstellung der Heizungsanlage theoretisch relativ schnell möglich. Real lassen sich Millionen von Heizungsanlagen mangels qualifizierten Fachkräften aber nur langfristig umrüsten. Zumal viele Gasheizungen erst in den letzten Jahren installiert und erneuert wurden, und noch gar nicht abbezahlt sind.

 

Mehr Elektroenergie aus anderen Quellen einzige schnelle Option zum Sparen von Erdgas

Der deutsche Energiemix erlaubt es, Strom aus Erdgas durch Strom aus anderen Energiequellen zu ersetzen. Hierfür müssen jedoch ideologische Dogmen überwunden werden. Für die derzeitige Regierungskoalition – insbesondere die Grünen – ist dies nicht leicht. Doch im Fall eines Lieferstopps für russisches Erdgas wird bereits offiziell die Verschiebung der Abschaltung von Kohlekraftwerken besprochen. Doch selbst über den Weiterbetrieb bzw. die Reaktivierung der noch einsatzbereiten AKWs müsse in dem Fall nachgedacht werden – auch wenn sich die Grünen dagegen noch sträuben. Denn im Vergleich zur Lahmlegung weiter Bereiche der Wirtschaft und der Gefährdung der Heizung von Millionen Haushalten sei die minimale Erhöhung der Menge an Atommüll ein geringer Preis. Der gleichzeitige Verzicht auf die verbliebenen und bis Ende des Jahres eigentlich abzuschaltenden Kernkraftwerke und Erdgas würde die Elektroenergieversorgung Süddeutschlands gefährden.

 

Mittelfristige Ansätze

Selbst mit der Fertigstellung der LNG-Terminals ergeben sich erhebliche wirtschaftliche Probleme, da das per Tanker gelieferte Flüssiggas mindestens drei mal teurer sein wird, als das recht billige Erdgas aus russischen Pipelines vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Zumal auch die Kapazität an Gastankern und Terminals zur Umwandlung in Flüssiggas mit dem gestiegenen Bedarf an Flüssiggas in Deutschland mithalten muss. Die hohen Gaspreise werden zu weiteren Sparmaßnahmen und Substitutionseffekten führen, die jedoch auch wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen werden.
Mittel- bis langfristige Lösung: Bedarf senken. Langfristig sei ein weiterer Ausbau der Erneuerbaren notwendig, um die jährliche Laufzeit der Gaskraftwerke zu reduzieren und den wachsenden Strombedarf zu decken. Für die BVB / FREIE WÄHLER Fraktion stellte Christine Wernicke klar, dass in Brandenburg die Akzeptanzgrenze bei Windkraft bereits erreicht ist. Statt dessen werde man hier auf andere Energiequellen, etwa die Photovoltaik auf Dächern setzen.

 

Wasserstoff: Eigenversorgung unmöglich, Import langfristig möglich

Auch der Einsatz von Wasserstoff als Ersatz für Erdgas sei langfristig möglich. Die inländische Produktion könne jedoch nie ausreichen, um den entstehenden Bedarf zu decken. Die Bevölkerungsdichte und damit der Energiebedarf im Inland ist zu groß. Durch die Elektromobilität wird der Bedarf an elektrischem Strom sogar noch steigen. Diesen Bedarf zu decken sei primär. Überschüsse zur Verwendung in der Elektrolyse wären zwar theoretisch machbar, doch die hierfür notwendige gigantische Anzahl von Windkraft- und Photovoltaikanlagen wäre auf der begrenzten und nur mittelmäßig geeigneten Fläche Deutschlands nicht wirtschaftlich. Zudem würde die Bevölkerung die für eine Autarkie notwendige Massenbebauung mit Photovoltaik und Windkraft nicht akzeptieren. 

Auch Import ist kurzfristig nicht plausibel. Zuerst muss noch die Technologie entwickelt und die Infrastruktur aufgebaut werden. Derzeit ist noch nicht einmal klar, in welcher Form (als Gas, verflüssigt, als Ammoniak,…) und auf welchem Transportweg (Pipeline, Tanker) der Wasserstoff aus den Staaten mit besseren Energieverfügbarkeit nach Deutschland erfolgen soll. Es ist daher frühestens in ein bis zwei Jahrzehnten damit zu rechnen, dass eine für die Gesamtbilanz relevante Menge Erdgas durch Wasserstoff ersetzt wird. Dennoch laufen bereits Gespräche mit Norwegen (günstige Wasserkraft) und arabischen Staaten (Photovoltaik in Wüstengebieten). Denn langfristig könnte elektrolytisch Wasserstoff Erdgas ersetzen – und das bei Import aus Regionen mit günstigen, erneuerbaren Energiequellen klimaneutral und zu bezahlbaren Kosten.

 

Inhalte der Resolution

 

Kurzfristige Ziele

    1. Diversifizierung der Importe von Erdgas (sowohl via Pipeline sowie auch durch verflüssigtes Erdgas – LNG), Kohle und Erdöl.
    2. Ideologiefreie Bewertung einer übergangsweisen Nutzung von Kohle und Kernkraftwerken als Substitution von Gas bei der Stromerzeugung (für die kritischen Monate bis zur Etablierung anderer Erdgas-Lieferanten und Lieferinfrastruktur, für Brandenburg etwa weitere Sicherheitsbereitschaft der Braunkohle-Kraftwerksblöcke, die Ende September 2022/23 stillgelegt werden sollten)
    3. Nationale Energiereserve ausbauen indem die Erdgas- und Kohlebevorratung konsequent betrieben wird
    4. Mehr Versorgung aus erneuerbaren heimischen Energiequellen durch Biogas, Förderung von Bürgeranlagen durch Bürokratieabbau, EEG-Förderung der kleinen Wasserkraft erhalten und bundesweite Förderung von PV Speicher-Anlagen

Einen vorschnellen Boykott von Erdgaslieferungen aus Russland, ohne dass zuvor die Versorgungssicherheit – auch über den nächsten Winter – gewährleistet ist, lehnen wir ab. Stattdessen soll die Bundesregierung Wirtschaft und Verbrauchern helfen, den Preisschock zu verkraften:

    1. Absenkung der Strom- und Erdgassteuer auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß,
    2. substanzielle Absenkung der Energiesteuersätze auf Heizöl,
    3. Reduktion der Übertragungsnetzentgelte durch einen Zuschuss aus Bundesmitteln in Höhe von mindestens 2 Mrd. Euro,
    4. Anwendung eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Erdgas, Elektrizität und Fernwärme,
    5. temporäre Aussetzung der nationalen CO2-Bepreisung sowie die Einführung eines Industriestrompreises.
    6. volle Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Entlastung von stromkostenintensiven Unternehmen im Rahmen der so genannten „Strompreiskompensation“.

 

Mittelfristige Ziele

Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, einschließlich Import- und Transportinfrastruktur
Im Verkehrswesen Antrieb mit Strom, Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen fördern
Effiziente Energienutzung, einschließlich Abwärme und Nutzung von Geothermie
Speichertechnologie ausbauen, einschließlich häuslicher Kleinspeicher und Pumpspeicher im Gebirge

 

Langfristige Ziele

Technologieoffen fördern, denn langfristig könnte technischer Fortschritt weitere Möglichkeiten zur Energieerzeugung eröffnen. Ein Beispiel ist Fusionsenergie. Die Forscher in Garching, die sich mit Tokamak (Asdex Upgrade) und Stellarator-Modellen (Wendelstein 7-X) beschäftigen rechnen mit einer Serienreife bis 2050. Doch einige Startups glauben, dass eine praktische Anwendung der Kernfusion mit Laserfusion schon deutlich schneller machbar wäre. Eben so gut kann es jedoch auch noch deutlich länger dauern. Trotz dieses Risikos sollte Deutschland als eine der führenden Nationen in der Plasma- und Fusionsforschung weiter in die Entwicklung der Fusion investieren. Denn physikalisch spricht nichts gegen die Machbarkeit. Und sollte Fusion zu bezahlbaren Preisen funktionieren, würde sie sehr schnell einige der größten Probleme der Menschheit lösen.

Christine Wernicke und der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im Institut für Plasmaphysik in Garching, in dem an Kernfusion geforscht wird. Im Hintergrund ein Teil des inzwischen durch seinen Nachfolger ersetzten Fusionsreaktors ASDEX.

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