Rede von Christine Wernicke in Textform:
Frau Wernicke (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle kennen das berühmte Behördenmotto: Paragraf 1 – jeder macht seins!
Wer was zu machen hat, gibt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vor. Die Regelungen zur Gesetzgebungskompetenz sind Kernelemente unserer Verfassung. In der Bundesrepublik liegen erst einmal alle Kompetenzen bei den Ländern. Nur bei Gesetzesmaterien, die zwingend einer bundeseinheitlichen Regelung bedürfen, hat der Bund das Sagen.
Darüber hinaus gibt es Gesetzesmaterien, bei denen man darüber streiten kann, ob es ein übergeordnetes Interesse des Bundes gibt. Meist findet man eine einvernehmliche Lösung. Aber nicht immer! Manchmal greift der Bundesgesetzgeber in Materien ein, für die er keine Kompetenz besitzt. Ein solcher Fall liegt unserer Ansicht nach bei der Festlegung eines maximalen Mindestabstands in § 249 Abs. 3 Satz 2 des Baugesetzbuches vor.
In Artikel 74 Nr. 18 des Grundgesetzes wird die Gesetzgebungskompetenz über das sogenannte Bodenrecht dem Bund zugewiesen. Das ist auch sachgerecht; denn Konflikte über die Nutzbarkeit des Bodens – und darum geht es beim Bodenrecht – sollen bundeseinheitlich geregelt und nicht durch Landesgrenzen unterbrochen werden. Wir alle kennen Begriffe wie „Innenbereich“, „Bebauungsplan“ oder „Planfeststellung“. Das Bodenrecht soll die Frage klären, ob Boden auf eine bestimmte Art genutzt werden kann. Das ist unstreitig die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Die Frage, wie bebaut werden darf, ist nicht eindeutig zu beantworten. Während Rücksichtnahme und das sogenannte Sich-Einfügen bundesgesetzlich gelöst werden, sind Fragen der Gefahrenabwehr unstreitig den Ländern zugewiesen – was diese in den Landesbauordnungen erledigen. Denn sie sind es, die die regionalen Risiken kennen: Erdbebenanfälligkeit, Schneehöhen, Windlagen, brandgefährdete Regionen, aber auch regionaltypische Besonderheiten wie dichte Bebauung in Stadtstaaten oder die Abdeckung durch Katastrophenschutz und Feuerwehr – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Eine bundesweite Regelung der Gefahrenabwehr kann nicht jede Region bedarfsgerecht abbilden. An dieser Stelle wird die Regelung des § 241 Abs. 3 Satz 2 des Baugesetzbuches zum Problem. Anders als Sie, Herr Minister Beermann, sie am 16. Dezember 2021 im Plenum bezeichnet haben, ist die Regelung eben keine „Entprivilegierung“. Sie ist ein absolutes und ausnahmsloses Verbot, zu Windkraftanlagen größere Abstände als 1 000 Meter festzulegen. Dadurch sind wir eingeschränkt, generell, aber auch abhängig von regionalen Faktoren geeignete Regelungen einzuführen, die die Gefahren für Mensch und Natur korrekt abbilden könnten – Gefahren, die nur wir als Landesgesetzgeber kraft höheren Wissens kennen und die uns übrigens in der Anhörung am 17. Februar noch einmal mehrfach verdeutlicht wurden.
Und wofür werden die Warnungen ignoriert? Für die „Windkraftermöglichung“, wie Sie, Herr Rostock, den Inhalt des Gesetzes gestern passend beschrieben haben. Schlimmer noch: Durch diese Regelung könnten regionale Baubehörden sogar ermutigt werden, die 1 000 Meter als absolute Erlaubnisgrenze zu sehen, und gänzlich davon absehen, die Gefährdung für Anwohner und Tiere zu prüfen, egal wie hoch der Mast ist.
Der Bund möchte uns also daran hindern, die Gesundheit der Bürger zu schützen – und das zugunsten eines einseitigen Ausbaus der Windkraft. Das geht nicht – erst recht wenn man bedenkt, dass, nach unserer Auffassung, der Bund hier ohne eine Grundgesetzänderung nicht das Sagen hat. Es ist unsere Pflicht, unsere Gesetzgebungskompetenz zu verteidigen. Deshalb braucht es die Normenkontrolle. Dafür bitten wir um Ihre Zustimmung.