Péter Vida zum Antrag von BVB/FW „Altanschließer erneut im Recht“ – 20.05.2022

20. Mai 2022

Rede von Péter Vida in Textform:

Péter Vida (BVB/FW):

Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Es ist erneut notwendig, über dieses Fanal der Brandenburger Beitragspolitik zu sprechen.

(Oh! bei der AfD – Zuruf: Es ist nicht notwendig!)

– Doch, es ist absolut notwendig. So, wie mit den Bürgern vor vielen Jahren – vor zehn Jahren – umgegangen worden ist und Sie Ihr Recht durchgesetzt haben, tut es absolut not, immer wieder daran zu erinnern, was hier war: 250 000 bis 300 000 Haushalte haben aufgrund einer Gesetzesänderung hier im Landtag rechtswidrige Abwasserbescheide erhalten. Alle Anträge, die wir seinerzeit gestellt haben, wurden mit der hämischen Bemerkung abgelehnt, an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns in Brandenburg sei kein Zweifel – bis dann der große Donnerschlag vom Bundesverfassungsgericht kam, der per Beschluss eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit der Beitragspraxis festgestellte und den Hochmut der Brandenburger Altanschließerbeitragspraxis zerstörte.

Daraufhin begannen die Sirenengesänge: Man werde sich jetzt kümmern, man habe erkannt, man habe verstanden. – Man hat Gutachten in Auftrag gegeben und sich hier auf folgendes Mindestmaß geeinigt – das war im Frühjahr 2016 -: dass all die Bürger, die Widerspruch eingelegt und/oder geklagt haben, ihr Geld zurückbekommen und diejenigen, die zwar keinen Widerspruch eingelegt, aber auch nicht gezahlt haben, nicht mehr zahlen müssen, also ein Vollstreckungsverbot herrscht.

Daraufhin begann ein hektisches Treiben bei den Abwasserverbänden. Was kann man tun, um sich dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu entziehen? Dann war die Idee der neu gegründeten Verbände geboren; man hat sich ausgedacht: Dadurch, dass dem Abwasserverband im Jahr 2005 ein Ort beigetreten ist, ist ein neuer Verband entstanden. Dadurch, dass ein neuer Verband entstand, ist eine neue Anlage entstanden. Dadurch, dass eine neue Anlage entstanden ist, ist ein neuer Anschluss entstanden. Und dadurch, dass ein neuer Anschluss entstanden ist, beginnt die Verjährungsfrist von vorn zu laufen. Deswegen ist es ein neuer Anschluss – obwohl es dieselben rostigen Rohre aus den 70er-Jahren sind, die die Leute im Rahmen von Subbotniks teilweise selbst verbuddelt bzw. verlegt haben.

(Lachen des Abgeordneten Dr. Berndt [AfD])

Wir haben hier daraufhin in den Jahren 2016, 2017 und 2018 Anträge gestellt. Ich habe sie begründet und darauf hingewiesen, dass die Verbände dadurch versuchen, die Rückzahlungen zu vermeiden bzw. – nicht nur das – sogar die Eintreibung von Beiträgen noch voranzutreiben. Ich habe hier seinerzeit Bescheide hoch gehalten, Gerichtsurteile hoch gehalten – und es schallte mir von „Menschenfreud“ und Innenminister Schröter entgegen: Das ist alles erfunden! Die Fälle gibt es nicht. Der Abgeordnete Vida behauptet sie nur. – Das hat er selbst dann noch gesagt, als schon Urteile darüber ergangen sind, dass diese Verwaltungspraxis rechtswidrig ist.

So gingen wir bis ins Jahr 2019 – in das Ende der Wahlperiode – mit dem gefestigten Meinungsbild der Landesregierung – damals Rot-Rot – „Der Vida hat sich diese Fälle nur ausgedacht“ hinein – selbst dann noch, als schon die zweite Instanz, nämlich das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg damit befasst war. Dann kam ein neuer Innenminister, der anerkannte, dass es diese Fälle gibt; es ließ sich dann auch schlecht leugnen, denn wir befanden uns mittlerweile in der dritten Instanz, nämlich beim Bundesverwaltungsgericht.

Was war in der Zwischenzeit passiert? Man hat Bürgern also gesagt: Ihr müsst bezahlen. – Und nicht nur das: Man hat sogar angefangen, die Dinge vier, fünf Jahre rückwirkend zu verzinsen – mit Zinseszins! -, sodass es Fälle gab, in denen bei Bürgern Hauptforderungen von beispielsweise 10 000 Euro für einen Abwasserbescheid, erlassen im Jahr 2014/2015, mit einer zusätzlichen – mittlerweile aufsummierten – Verzinsung in Höhe von 4 000 bis 5 000 Euro eingingen.

Da haben wir hier im Landtag darauf hingewiesen: Hey, es gibt doch ein Vollstreckungsverbot! – Dann hieß es vom Innenminister: Die vollstrecken ja nicht. Weiß der Anwalt Vida etwa nicht, was eine Vollstreckung ist? Die mahnen ja nur. – Die mahnen, indem sie ankündigen, was alles passiert: Zinsen, es werden immer mehr, immer mehr, immer mehr. – „Es ist ja nur eine Mahnung, es ist keine Vollstreckung.“ – Und wenn der Bürger daraufhin zahlt, heißt es: So, er hat gezahlt, er hat keinen Widerspruch eingelegt, er fällt nicht mehr in die Fallgruppe, also ist eine Rückzahlung jetzt wirklich nicht mehr geschuldet. – Das sind Taschenspielertricks, das ist kein angemessener Umgang in einem Rechtsstaat.

(Beifall BVB/FW)

Und nun kam das Bundesverwaltungsgericht im Oktober letzten Jahres – für manche überraschend, für uns ganz klar und selbstverständlich – mit der Entscheidung, in der es hieß, dass es dem Satzungsgeber nicht zusteht, „durch die formale Ausgestaltung des Übergangs der öffentlichen Einrichtung auf einen anderen Einrichtungsträger die Anwendbarkeit verfassungsrechtlicher Maßstäbe zu verhindern“. Auf Deutsch: Bundesverfassungsgericht gilt auch beim Abwasserverband in Königs Wusterhausen – nicht nur in Karlsruhe, auch in KW.

(Beifall BVB/FW)

Oder:

„Diese mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung begründete Vertrauensposition ist auch vom Zweckverband als Träger der rechtlich neuen Anlage zu beachten.“

Auch der Zweckverband ist also an Recht und Gesetz gebunden. Für manche ist das selbstverständlich, für manche eine überraschende Erkenntnis aufgrund dieser drittinstanzlichen Entscheidung.

(Beifall BVB/FW)

Was bedeutet das nun für die Betroffenen? Was ist passiert? Zwischen 2011 und 2014, 2015 sind diese Bescheide ergangen. Die Betroffenen haben vor Ort protestiert, und ihnen wurde von ihren Gemeindevertretern, vornehmlich von der SPD, erklärt: Das ist alles Populismus, was die Freien Wähler euch da erzählen. Ihr müsst gar nicht Widerspruch einlegen, weil es eh rechtmäßig ist. – Das sind übrigens diejenigen, die jetzt sagen: Hättet ihr damals Widerspruch mal eingelegt, dann hättet ihr jetzt einen Vorteil und kein Problem.

Dann haben die Bürger also ein Widerspruchsverfahren durchlaufen, haben es natürlich verloren, haben dann geklagt; da wurde bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt, das alles lief dann fünf Jahre lang. Dann hat man vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen und denkt sich nach fünf Jahren: Mensch, jetzt endlich mal ein durchschlagender Erfolg.

Dann beginnt wieder eine Odyssee von mehreren Jahren, und es heißt: Es gibt ein Gutachten der Landesregierung, das zum Ergebnis kommt: Okay, ihr bekommt euer Geld zurück.

Dann denken sich die Verbände aus: Nein, ihr bekommt euer Geld doch nicht zurück. – „Aber es ja kein Problem, die Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut, die können ja wieder klagen.“ – Richtig: Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht, Bundesverwaltungsgericht, und das führt dazu, dass bestimmte Bürger mittlerweile – ich kann nicht mehr zählen, in wievielter Instanz befindlich – seit zehn Jahren auf die Rückzahlung von Beiträgen klagen, deren Erhebung unstreitig rechtswidrig war und die unstreitig – selbst nach Gutachten der Landesregierung – rückzahlungspflichtig sind.

Jetzt kann man sagen: Okay, die Problembeschreibung wird von der Landesregierung fast gar nicht mehr bestritten. – Das ist der große Erkenntnisgewinn. Und dazu hatten wir im Innenausschuss – ich glaube, im Februar – die Diskussion, in der gesagt wurde: Ja, doch, solche Fälle gibt es, wir machen eine Abfrage. Jetzt könnte man natürlich sagen: „Herr Abgeordneter Vida, seien Sie zufrieden, die machen eine Abfrage, die klären das schon!“ – so, wie sie das Problem in den letzten zehn Jahren geklärt haben, ist klar. Und dann habe ich gefragt: Was für eine Abfrage macht ihr denn? Habt ihr denn auch gefragt, ob die mahnen? Habt ihr denn gefragt, ob die Leute auch die Zinsen zurückbekommen? Habt ihr denn auch gefragt, ob die Verbände sich etwas neues Kreatives ausdenken? Und habt ihr denn den Verbänden jetzt auch mal gesagt, dass sie es zurückzahlen müssen?

Und da bekomme ich – nach zehn Jahren Altanschließerodyssee! – als Antwort:

„Die Landesregierung hat […] keinen Zweifel, dass die von der aktuellen Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung betroffenen Aufgabenträger diese in rechtmäßiger Weise umsetzen werden.“

Nach 250 000 rechtswidrigen Abwasserbescheiden, nach Tricks über Tricks über Tricks, nach Mahnungen, mit denen den Leuten das Geld abgepresst wird, nach ungefähr 800 Millionen Euro rechtswidrig abkassierter Abwasserbeiträge hat die Landesregierung – nach neun, zehn Jahren – „keinen Zweifel“, dass die Abwasserverbände rechtmäßig handeln – die Abwasserverbände, deren Landesverband als der Goldstandard der rechtmäßigen Beitragserhebung auf seiner Webseite dieses Urteil bis heute – acht Monate später – nicht mit einer Silbe erwähnt, weil es ihnen nicht in den Kram passt! Und diese Abwasserverbände – da gibt es überhaupt keine Zweifel – werden jetzt, nach zehn Jahren, anfangen, rechtmäßig zu handeln.

Denn sie

(Der Redner deutet auf die Regierungsbank.)

haben daran geglaubt – die Glaubensgemeinschaft, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall BVB/FW)

Genau deswegen braucht es diesen Antrag, damit den Verbänden gesagt wird: Zahlt zurück! – Und bevor es heißt: Sie greifen in die kommunale Selbstverwaltung ein, wir können doch nicht mit Rundschreiben operieren: 8. März 2016: Rundschreiben in Abwassersachen vom Innenministerium; 24. März 2016: Rundschreiben des Innenministeriums in Sachen Abwasser; 16. Februar 2016: sogar ein Runderlass des Innenministeriums in Sachen Abwasser; 31. August 2020: Rundschreiben des Innenministeriums in Sachen Abwasser. – Also erzählen Sie uns bitte nicht, dass Rundschreiben da nicht gehen würden!

Nein, meine Damen und Herren, was wir hier fordern, ist Inhalt des Rechtsgutachtens von Prof. Brüning, Universität Kiel, aus dem Frühjahr 2016, das die Landesregierung selbst in Auftrag gegeben hat und in dem steht, dass diese Fallgruppen ihr Geld zurückbekommen müssen. Und wir schreiben in dem Antrag lediglich, dass das sechs Jahre, nachdem Sie selbst das als erklärte Politik festgestellt haben, endlich auch passieren muss.

Wie lange wollen Sie die beitragsbetroffenen Bürger, von denen viele älteren Semesters sind und bei denen das Vertrauen in rechtsstaatliche Abläufe am Erodieren ist, noch warten lassen? Handeln Sie endlich für soziale Gerechtigkeit! Kürzen Sie den Weg ab! Muten Sie nicht jedem einen Prozess bis zum Bundesverwaltungsgericht zu! Nicht noch einmal ein zweijähriges Hinauszögern! Tragen Sie dafür Sorge, dass die Menschen endlich ihr Geld zurückbekommen – wenigstens diese Fallgruppe, bei der Einigkeit besteht! Und muten Sie den Menschen nicht weiter zu, hier warten zu müssen, und frustrieren Sie sie nicht! Deswegen: Geben Sie diesem Antrag eine Chance! – Danke.

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