Péter Vida in der Debatte über den Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung – 23.06.2022

23. Jun 2022

Rede von Péter Vida in Textform:

Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wer die Werte unserer Verfassung beherzigt und die ihr innewohnenden Ziele lebt und zum politischen Kompass macht, ist bei einer Debatte wie der heutigen über jeden parteipolitischen Streit erhaben – zumindest, wenn er es ehrlich meint und die Verfassung unvoreingenommen und ohne Ansehen der parteipolitischen Lage betrachtet und abstrakte, auf lange Zeit wirkende Entscheidungen trifft.

Mit diesem Maßstab haben wir die Beratungsfolge zur Änderung der Landesverfassung begleitet, und nach dieser Maßgabe stimmen wir heute auch ab. Die gestrige Feierstunde, die ich leider nur von zu Hause verfolgen konnte, hat mich darin bestärkt, dass wir damit richtigliegen oder wahrscheinlich richtigliegen; niemand kann in der Politik die volle Wahrheit für sich reklamieren, aber man kann Leitlinien für die Beurteilung aufstellen. Mein Stellvertreter, Kollege Stefke, hat hierzu gestern für uns BVB / FREIE WÄHLER wesentliche Gesichtspunkte betont.

Eine Verfassung wird in der Regel nicht beliebig verändert, auch damit sie sich dadurch von anderen Regelungen und Gesetzestexten unterscheidet. Deswegen ist eine Verfassung bzw. eine Verfassungsänderung immer auch Ausdruck eines gewachsenen gesellschaftlichen Konsenses. In ihr spiegelt sich die breite Überzeugung wider, die Änderungen seien zum Besten aller. Es braucht daher eine gewachsene, große Verständigung darüber, dass die Änderung nicht zum Vorteil einiger gereicht, sondern dem Wohl der breiten Mehrheit dient. Eine vom Volk gutgeheißene Verfassung kann und darf nicht phasenweise bestehenden parteipolitischen Konstellationen angepasst werden; sie muss abstrakt, lange wirkend und ohne Ansehen des Moments Geltung haben.

(Beifall BVB/FW)

Deswegen, meine Damen und Herren, sind auch die Bedenken des geschätzten Kollegen Senftleben sehr ernst zu nehmen und zu beherzigen. Auch wenn wir als BVB / FREIE WÄHLER

(Zuruf des Abgeordneten Stefke [BVB/FW])

sie nicht in voller Tiefe teilen, so bringen sie doch zum Ausdruck, dass eine solche Entscheidung nicht unter Druck oder Partikularinteressenlagen folgend erfolgen darf. Wir respektieren das.

Deswegen sind wir als BVB / FREIE WÄHLER zu der Überzeugung gelangt, dass das Bekenntnis zur Bekämpfung des Antisemitismus ein genau solches übergeordnetes konsensuales und notwendiges, richtiges Ziel ist. Unsere historische Verantwortung und die aktuellen Entwicklungen gebieten es, hier eine entsprechende Regelung vorzunehmen. Die Gespräche mit den jüdischen Gemeinden zeigen, dass sie das begrüßen und wir gut daran tun, jüdisches Leben und jüdische Kultur zu schützen bzw. zu fördern und das auch in Verfassungsrang zu heben.

Dasselbe gilt, meine Damen und Herren, für den Antiziganismus, dessen tiefgreifende strukturell zerstörerische Kraft man – ich glaube, das für mich in Anspruch nehmen zu können – tiefgründiger nachvollziehen kann, wenn man in einem solchen Umfeld gelebt und das gesehen hat.

Dasselbe gilt für den Schutz der niederdeutschen Sprache; denn jetzt ist die Zeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Deswegen, meine Damen und Herren, beantragen wir getrennte Abstimmung, um zum einen zu signalisieren, dass wir diesen Punkten zustimmen wollen und werden; denn diese Aspekte sind uns wichtig. Und: Wir wollen freilich nicht, dass Unterstellungen im Raum stehen bleiben, die parteipolitisch motiviert sein könnten. Wenn Sie, meine Damen und Herren, von BVB / FREIE WÄHLER fordern, zuzustimmen, dann bitten wir Sie, uns dies durch Zulassung der getrennten Abstimmung auch zu ermöglichen.

(Beifall BVB/FW)

Meine Damen und Herren, wenn man die Maßstäbe des anderen zu verstehen gewillt ist, versteht man auch, dass es Punkte gibt, in denen vielleicht kein Konsens errungen wird. Das mag schade sein, ist aber auch Ausdruck eines pluralistischen Meinungsbildungsprozesses; so ist das in einer Demokratie.

Wir hatten im Vorfeld in zwei Änderungsbereichen Kritik angemeldet. Zum einen haben wir angemahnt, die Europäische Union institutionell erstmals in der Landesverfassung zu benennen – was bis heute nicht der Fall ist -; denn das einigende Haus Europa wird nicht einfach nur irgendwo auf dem Kontinent errichtet, sondern im Rahmen einer Wertegemeinschaft, deren Fundament die EU ist. Und wenn man die Verfassung anfasst und die gewachsenen Grundwerte hineinprojizieren möchte – was alle sagen -, darf da die EU eigentlich nicht fehlen. Das gilt – in Verbindung damit – auch für die Freundschaft zu Polen; denn diese ist zwar losgelöst davon entstanden, aber der entsprechende Wertekanon hat sich auch hier entwickelt und muss Maßstab hierfür sein.

(Beifall BVB/FW)

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Vida (BVB/FW):

Ja, bitte schön.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Bitte schön, Herr Abgeordneter Domres.

Domres (DIE LINKE):

Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Vida, ich möchte kurz auf Ihren Antrag auf getrennte Abstimmung zurückkommen. Stimmen Sie mir zu, dass, auch wenn die einzelnen Punkte, über die Sie getrennt abstimmen lassen möchten, eine einfache Mehrheit bekommen, eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, um diese Punkte dann in Kraft zu setzen?

Vida (BVB/FW):

Selbstverständlich! Deswegen habe ich auch angekündigt, dass wir einigen dieser getrennten Punkte zustimmen würden,

(Lachen der Abgeordneten Gossmann-Reetz [SPD])

um dann, sollte Zweifel hinsichtlich der Zweidrittelmehrheit bestehen, für diese wichtigen Konsenspunkte eine Zweidrittelmehrheit zu bewirken. Diese Punkte, die wir hier getrennt abgestimmt sehen wollen, stehen auch in keinem sprachlichen Widerspruch zu dem übrigen Abstimmungspaket; auch darauf haben wir im Sinne der Rechtsförmlichkeit geachtet. Insofern kann ich Ihnen hier jegliche Zweifel nehmen und danke für die klarstellende Nachfrage.

Meine Damen und Herren, zum Vizepräsidenten haben wir gesagt: Es reicht nicht, dass er der Opposition angehört, sondern er ist auch auf Vorschlag der Opposition zu wählen.

Kommen wir nun zur Abstimmung; da kann man auch die Spannung ein bisschen herausnehmen. Die Mehrheitskonstellationen sind, wie sie sind. Wir respektieren das; wir akzeptieren das auch. Deswegen beschränken wir uns auf unseren Antrag auf getrennte Abstimmung und wollen das nicht hinauszögern.

Die entsprechenden Mehrheiten sind da; man hat uns das signalisiert, und wir respektieren das.

(Beifall BVB/FW)

Nun ist es so, meine Damen und Herren: Wenn man sich nicht über alles einigen konnte, respektieren wir das.

Wir bitten Sie, Ihrerseits zu respektieren, dass wir dies mit einem Antrag auf getrennte Abstimmung dokumentieren wollen. – Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Vida (BVB/FW): – Er möchte auch meine Redezeit verlängern. – Bitte schön.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Herr Abgeordneter Walter, bitte.

Walter (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Vida, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade dargestellt, welche weiteren Änderungsbedarfe Sie gesehen haben – und das respektieren wir natürlich. Deshalb frage ich Sie, warum Sie diese Änderungsanträge in der letzten Sitzung des Hauptausschusses wieder zurückgezogen haben. Wir haben ja immer wieder deutlich gemacht, dass wir zu weiteren Gesprächen bereit sind. – Und warum haben Sie Ihre Änderungsanträge nicht noch einmal hier und heute eingebracht? Das würde mich an dieser Stelle interessieren. – Vielen Dank.

Vida (BVB/FW):

Herr Walter, ich habe eine gewisse Aufregung bei Ihnen wahrgenommen, deshalb haben Sie es sicher nicht gehört. Ich habe es gerade erklärt, nachdem ich den zweiten Änderungsvorschlag gemacht hatte, aber ich wiederhole es gern noch einmal, kein Problem: Der Änderungsantrag hinsichtlich Polen, über den ich gerade sprach, ist ein Jahr und zwei Wochen alt. Ich habe in der letzten Pressekonferenz, die Sie gemeinsam abgehalten haben, gesehen, dass Sie auf Nachfrage der Presse gar nicht wussten, um welchen Änderungsantrag es geht. Und zur Wahrheit gehört auch: Wenn man einen ein Jahr alten Änderungsantrag nicht einmal kennt und ihn in der gemeinsamen Pressekonferenz nicht eines Halbsatzes würdigen kann, kann man uns nicht das Stöckchen hinhalten und sagen: Dann stellt ihn doch heute noch mal! – Nein, meine Damen und Herren, dieses Spiel machen wir nicht mit.

(Beifall BVB/FW – Zuruf des Abgeordneten Walter [DIE LINKE])

Wir haben in allen Verhandlungen immer wieder betont, was uns wichtig ist. Ich habe auch heute noch einmal gesagt: Wir wollen die Abstimmung nicht hinauszögern. Sie haben Ihre Mehrheit, wir respektieren das, und wir finden die Hälfte von dem, was beantragt ist, auch gut. Deswegen stellen wir den Antrag auf getrennte Abstimmung.

Die anderen Dinge sind diskutiert; Sie wollen sie nicht. Schauen Sie, ich habe mich immer daran gehalten, aus vertraulichen Gesprächen nicht zu berichten, und ich werde das auch heute so handhaben. Aber dass wir im Sinne der Würde der Verfassung nicht mehr darauf eingehen, wenn man uns zwölf Stunden vor der Abstimmung handgeschriebene Änderungsvorschläge vorlegt, können Sie uns wahrlich nicht zum Vorwurf machen. – Danke schön.

(Beifall BVB/FW)

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Vida (BVB/FW): Bitte schön.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Herr Abgeordneter Bretz.

Bretz (CDU):

Vielen Dank, Herr Kollege Vida, für die Möglichkeit der Zwischenfrage. Ich werde eine sehr präzise Frage stellen und würde mich über eine sehr präzise Antwort freuen: Sie hatten darum gebeten, dass wir getrennte Abstimmungen durchführen. Würde Ihre Fraktion im Falle der Annahme der einzelnen Punkte, denen Sie in getrennter Abstimmung zustimmen wollen, bei der entscheidenden Schlussabstimmung, wo eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, dieser Mehrheit beitreten? Das heißt, würden Sie im Falle der getrennten Abstimmung bei der Schlussabstimmung mit Ja stimmen? Diese Antwort hätte ich gern.

Vida (BVB/FW):

Sehr geehrter Herr Bretz, nach unserem Verständnis und nach Rücksprache mit der Landtagsverwaltung bedeutet eine getrennte Abstimmung, dass beide Abstimmungen bereits die Schlussabstimmung darstellen. Genau deshalb stellen wir diesen Antrag.

Das hatten wir hier bereits mehrfach. Dem einen Block würden wir zustimmen, beim anderen Block würden wir uns enthalten. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, müssen wir uns insgesamt enthalten. Getrennte Abstimmungen und Teilungen von Abstimmungsgegenständen waren hier bereits mehrfach der Fall.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss – noch zehn Sekunden, mit Erlaubnis der Präsidentin: Die Verfassung des Landes ist größer als wir alle und sie überdauert Zeiteinheiten wie schnöde Legislaturperioden. Sie bildet das Fundament unseres Landes Brandenburg, und in diesen zeitlichen Dimensionen wollen wir denken und auch unser Abstimmungsverhalten danach ausrichten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BVB/FW)

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