Rede von Philip Zeschmann in Textform:
Dr. Philip Zeschmann (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger! Ich möchte einleitend ein kleines Erlebnis aus dem Alltag eines Brandenburger Berufspendlers schildern. Stellen Sie sich vor, Sie pendeln jeden Tag mit der Bahn von unserem schönen Brandenburg nach Berlin zur Arbeit. Sie leben ein bisschen weiter draußen, denn Sie lieben die Natur und das Landleben – wir haben ja gestern lesen können, dass Frau Geywitz empfiehlt, dass alle aufs Land ziehen. Sie wissen, dass heute auf Ihrer Bahnstrecke wieder Bauarbeiten angekündigt sind – wie fast jeden Monat in diesem Jahr übrigens -, und das bedeutet natürlich Schienenersatzverkehr. Es ist ein klirrend kalter Wintertag. Am Morgen hat es mit dem Schienenersatzverkehr noch ganz gut funktioniert, lediglich die Heizung war ausgefallen, was die Fahrt etwas ungemütlich gemacht hat, aber immerhin sind Sie halbwegs pünktlich zur Arbeit gelangt, nur etwas durchgefroren.
Kurz vor Ihrem eigentlichen Feierabend gibt es noch einen wichtigen – eiligen – Auftrag von Ihrem Chef, das heißt, Sie müssen deutlich länger bleiben, um das zu bearbeiten. Schließlich freuen Sie sich, dass Sie den Zug am Berliner Ostkreuz noch erreichen, der zwar etwas Verspätung hat, aber immerhin haben Sie einen Zug erwischt. Bis zu der von der Bahn angekündigten Baustelle, wo der Schienenersatzverkehr beginnt, geht es beheizt gut voran, derweil es draußen anfängt zu schneien und stürmisch ist. Vor dem letzten baustellenbedingten Bahnhaltepunkt irgendwo im Nirgendwo warten Sie auf den angekündigten Ersatzverkehrbus, in einem winzigen Wartehäuschen – einem, wie man es kennt: in dem drei bis vier Personen Platz haben und bei dem der Wind bei Schneesturm kräftig durchpfeift. Der Wind pfeift Ihnen also kräftig um die Ohren. Die Bahnreisenden warten, aber der Bus kommt nicht. Sie warten zehn Minuten, Sie warten 20 Minuten, am Ende sind es 30 Minuten, und als Sie schon fast steifgefroren und nur noch geringfügig von einem Schneemann zu unterscheiden sind, kommt der sehnlich erwartete Bus doch noch. Welch ein Glück, hurra! Ein paar Minuten, ein paar Kilometer zum Aufwärmen, denn die Heizung funktioniert.
Aber die Freude währt nur kurz. Hinter der Baustelle, also dort, wo der nächste Bahnhaltepunkt ist und die Fahrt mit der Bahn weitergehen soll – auch wieder irgendwo im Nirgendwo – ist Aussteigen angesagt, auf einem Bahnsteig, wie es ihn an verschiedenen Stellen in Brandenburg gibt: mitten auf dem Acker, ohne Überdachung und auch ohne irgendeinen Windschutz, was bei Schneesturm ein Problem ist. Eigentlich hätte hier der Anschlusszug warten müssen, aber was passiert auch hier wieder? Nichts. Nach zehn Minuten nichts, nach 20 Minuten nichts, nach 30 Minuten nichts. Sie überlegen: Vielleicht ist der Zug eingeschneit, ist wegen irgendeines technischen Defekts liegen geblieben, und weil die Strecke eingleisig ist, kann dann natürlich auch kein weiterer Zug kommen. – Damit Sie die Nacht bei Schneesturm und Minustemperaturen nicht auf dem Bahnhof verbringen müssen und Gefahr laufen, zu erfrieren, entscheiden Sie sich schließlich, den Fußweg zum nächsten Dorf anzutreten – über die schmale kleine Straße, die zu diesem Bahnhaltepunkt irgendwo im Nirgendwo führt.
Fragen eines anderen Abgeordneten: (Frage und Name darf aus protokollarischen Gründen nicht hier erscheinen.)
Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Vielen Dank. – Aber die Uhr lief eben weiter. Es wäre nett, wenn die 15 Sekunden am Ende wieder draufkämen.
(Heiterkeit)
So weit die Fahrgastgeschichte, die aus dem Leben stammt, die in unserem schönen Land Brandenburg wirklich passiert ist.
Da frage ich Sie, insbesondere die Kollegen der Koalitionsfraktionen: Regt ein solches Erlebnis – das kommt ja nicht nur einmal vor – dazu an, mehr oder sogar täglich von Brandenburg nach Berlin oder innerhalb Brandenburgs zur Arbeit zu pendeln? – Offensichtlich nicht.
Wie gesagt ist solch ein Vorkommnis kein Einzelfall. Wir haben uns damit beschäftigt, was die DB Regio per Twitter nur im Monat März – bis zum 18.03., also für einen Zeitraum von knapp drei Wochen – an Zugausfällen gemeldet hat. Das ergab eine 17 Seiten lange Auflistung. Wohlgemerkt sind das nur die Zugausfallmeldungen der DB Regio; die der ODEG, der NEB oder der Hanseatischen Eisenbahn sind nicht dabei.
Zugausfälle auf Regionalbahnlinien, ganz konkret: RE 2, Wismar-Cottbus, 12 Meldungen: Zugausfälle, Signalstörungen Stralsund, Krankmeldungen, Reparaturen am Zug, Feuerwehreinsätze usw. RE 3, – Lutherstadt Wittenberg, 17 Meldungen: Hier kam es auch zu Ausfällen wegen Verspätungen, Polizeieinsätzen, Krankmeldungen. Im Landkreis Barnim fand zu diesem Thema sogar ein Bahngipfel statt, weil es sowohl für den RE 3 als auch für die RB 24 parallel Schienenersatzverkehr gab und es ein ziemliches Chaos war, weil die Leute nicht wussten, welcher der Busse welchen Schienenersatz fährt: Steige ich in den „richtigen“ für den RE 3, der nur die Hauptpunkte anfährt und schneller ist, oder lande ich in einem Bus für die RB 24, der in jedem Dorf an jeder Milchkanne hält? – Auch die Busfahrer wussten wohl nicht immer, für welche Linie sie gerade fahren.
Beim RE 4, Rathenow-Jüterbog, und beim RE 5, Stralsund-Rostock-ElsterwerdaFinsterwalde, gab es jeweils fünf Meldungen zu Zugausfällen oder Sperrungen. Beim RE 6, Wittenberg – Berlin Gesundbrunnen, wurden elf Zugausfälle gemeldet, und vom 13.03. bis 02.04. gibt es eine komplette Streckensperrung aufgrund von Baumaßnahmen.
RE 7, Dessau-Wünsdorf-Waldstadt: 12 Meldungen von Zugausfällen sowie am 14.03. aufgrund eines Feuerwehreinsatzes fast den ganzen Tag Zugausfälle.
RB 10, Nauen – Berlin Südkreuz: 12 Meldungen aufgrund von Reparaturen am Zug, Krankmeldungen usw.
RB 24, Eberswalde-Senftenberg: 20 Meldungen von Ausfällen aus verschiedensten Gründen – Krankheiten, Baumaßnahmen. Dieser Zug wird aufgrund dieser Baumaßnahmen sowieso geteilt; ein Teil fährt nach Bernau und Eberswalde. Dort gibt es entsprechende Ersatzverkehre; man steigt in die RB 3 um, wenn die RB 24 gar nicht mehr fährt.
Er kommt allerdings 25 Minuten später, weswegen man alle Anschlussbusse weiter nördlich verpasst.
Darüber hinaus kam es aufgrund von, wie es im DB-Deutsch so schön heißt, baubedingten Fahrplanänderungen auch im März 2023 insgesamt auf folgenden Linien zu Beeinträchtigungen: FEX, RE 2, RE 3, RE 4, RE 5, RE 6, RE 7, RE 10, RE 13, RE 14, RE 14b, RB 20, RB 21, RB 22, RB 23, RB 24, RB 31, RB 32, RB 43, RB 49, RB 51, RB 55 und RB 66. Abgesehen von RE 5, RE 10 und RB 43 beschränkten sich diese Beeinträchtigungen, die ja offiziell gemeldet wurden, nicht nur auf wegen baubedingter Fahrplanänderungen angekündigte Verspätungen, sondern in der Mehrzahl der anderen Linien waren es zeitweise oder längere Schienenersatzverkehre, Sperrungen und Ausfälle bis hin zum kompletten Ausfall des Bahnverkehrs.
Vorfälle wie die geschilderten werden immer wieder passieren, weil Sie, werte Landesregierung, zusammen mit der Deutschen Bahn, also mit der DB Netz, und den von Ihnen beauftragten Eisenbahnverkehrsunternehmen es immer noch nicht wirklich vermögen, ein abgestimmtes Baustellenmanagement zu organisieren.
(Beifall BVB/FW)
Ein weiteres Übel sondergleichen besteht in der nicht adäquaten und viel zu späten Kommunikation der sogenannten baubedingten Fahrplanänderungen, weshalb sich die Fahrgäste auf bevorstehende Beeinträchtigungen kaum einstellen können.
In Zukunft – das ist der Punkt, um den es heute eigentlich gehen soll – wird aber genau das sogar noch wahrscheinlicher und noch schlimmer als derzeit. Denn, werter Minister Beermann – er ist heute nicht da, aber Herr Genilke -, Sie verantworten nicht die Verbesserung der Verkehre insbesondere in den ländlichen Regionen, sondern die Einstellung von Bahnlinien.
(Beifall BVB/FW)
Wir hatten das hier ausgiebig bei der RB 63. Wie wir auch in der letzten Fachausschusssitzung erfahren durften, kommt jetzt die RB 73/74 dazu. Mal sehen, was als Nächstes eingestellt wird!
Sie sind also nicht der Minister, der die sogenannte Verkehrswende einleitete und erfolgreich auf den Weg brachte; vielmehr sind Sie ein Verkehrsminister, der das Netz insbesondere des Bahnverkehrs in den ländlichen Flächen immer weiter reduziert, ja geradezu eindampft.
(Beifall BVB/FW)
Warum versagen Sie bei der Umsetzung der Ziele Ihres eigenen Koalitionsvertrags derart eindrucksvoll – weil Nutzen-Kosten-Analysen nicht positiv ausfallen? Ist noch mehr lebensfremde, verstaubte Bürokratie denkbar?
(Vida [BVB/FW]: Kaum!)
Aus meiner Sicht: Nein! – Wenn die Nutzen-Kosten-Analysen nicht einmal im Berliner Umland mit seiner hohen Bevölkerungsdichte positiv ausfallen, wird wohl keine mehr positiv ausfallen können, schon gar nicht in ländlichen Regionen. Demnach wird es keine neuen und auch keine reaktivierbaren Bahnstrecken mehr geben. Damit ist dann wohl klar, dass die sogenannte Verkehrswende, werte Kollegen der Koalitionsfraktionen, die auch in Ihrem Koalitionsvertrag steht, schon gescheitert ist, bevor sie überhaupt richtig beginnen konnte.
(Beifall BVB/FW)
So gesehen sind Sie dann doch, Herr Minister Beermann, der Minister der Verkehrswende, nur eben hin zu weniger Verkehr.
(Beifall BVB/FW)
Aber wir haben hier eine Aktuelle Stunde beantragt und wollen jetzt noch zu den konstruktiven Punkten kommen. Aus unserer Sicht geht es natürlich darum, die vorhin skizzierten Probleme der Ausfälle kurz-, mittel- und langfristig zu lösen. Das können Sie auch unseren Anträgen entnehmen. Der Antrag „Wegfall, Ausfall, Ersatzverkehr – sieht so Verkehrswende aus?“ beinhaltet natürlich die kurzfristigen Lösungsvorschläge, dass also zum Beispiel ein intelligentes Baustellenmanagement eingeführt werden muss, dass vorrangig Schnellbaustellen anstatt der Korridorsanierungen, die wir hier haben, realisiert werden müssen
(Beifall BVB/FW)
und dass die Anbieter der Verkehrsleistungen bzw. die Betreiber, also die Eisenbahnunternehmen, die die Leistung erbringen, so schnell wie möglich, umgehend und stringenter für Ausfälle in Haftung zu nehmen sind, damit sie bessere Vorsorge dafür treffen.
(Beifall BVB/FW)
Das Land Berlin, das Land Brandenburg, der VBB und die DB Netz sollten sich zudem regelmäßig zusammensetzen, um solche Dinge auch langfristig ordentlich zu planen und zu organisieren,
(Beifall BVB/FW)
und sich zum Beispiel auch abstimmen, damit nicht gleichzeitig der Schienen- und der Straßenverkehr behindert sind. Denn wenn man eine Straßensanierung, einen Straßenaus- oder -umbau hat und gleichzeitig auch noch den Schienenpersonennahverkehr einstellt oder reduziert und Ersatzverkehre durchführt, ist das Verkehrschaos natürlich vorprogrammiert.
In dem anderen Antrag, der Ihnen vorliegt – „Zugverkehr in Brandenburg attraktiver gestalten und wirklich pendlerfreundlich machen“ -, finden Sie die mittel- und langfristig erforderlichen Maßnahmen. Hierbei geht es darum, dass die Regionalzüge, die jetzt schon überlastet und überfüllt sind, vor allem auf den Pendlerstrecken, eine höhere Taktung erfahren müssen, damit sie für die Menschen, die jetzt vielleicht noch mit dem Pkw fahren, wirklich attraktiv zum Umsteigen werden. Wir brauchen aber auch in ländlichen Räumen eine Verstärkung der Schienenverbindungen und natürlich eine Reaktivierung von Strecken der sogenannten Tangentialverbindungen, damit auch in ländlichen Räumen die Pendler und andere ihre Relationen erreichen können. Dort, wo die Taktfrequenzen erhöht werden, müsste zusätzlich geprüft werden, ob das reicht und ob wir für die nächste Ausschreibung des Zugverkehrs nicht zusätzlich auch längere Züge brauchen. Wenn wir sie brauchen, dann brauchen wir natürlich auch längere Bahnhöfe, nicht so wie bei der RB 1, wo man den Verkehr am 10. Dezember des vergangenen Jahres umgestellt hat, aber die Bahnsteige noch nicht verlängert hatte. Das alles muss einfach zusammenpassen.
(Beifall BVB/FW)
Deswegen freue ich mich, dass wir jetzt eine konstruktive Debatte darüber führen, wie wir die Probleme lösen, sowohl kurz- als auch mittel- und langfristig. Ich freue mich natürlich, wenn wir gemeinsam die Verkehrswende auf den Weg bringen und auch einen besseren Bahnverkehr wirklich umsetzen und nicht nur darüber reden. Denn in den letzten fünf Jahren ist mit i2030 ja nun wirklich nicht viel passiert, zumindest nicht fühl- und erlebbar für die Menschen. – Danke schön.