Rede von Philip Zeschmann in Textform:
Dr. Philip Zeschmann (BVB/FW):
Ich hoffe auf eine fundierte, konstruktive Diskussion. – Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Brandenburger und Brandenburgerinnen! Was sind die Defizite unseres ÖV-Systems in Brandenburg? In vielen ländlichen Regionen gibt es kein ausreichendes Angebot an Mobilität ohne das Auto.
Erstens: unzureichende Anbindungen insbesondere der ländlichen Räume und nicht ausreichende, klar verständliche oder merkbare Takte.
Zweitens: zu lange Fahrzeiten aus verschiedenen Regionen des Landes Brandenburg.
Drittens: Die Züge fahren zu selten.
Viertens: Die Züge sind zumeist – zumindest in den Pendlerrelationen – in den Stoßzeiten überfüllt.
(Einige Abgeordnete verlassen den Saal.)
– Sie müssen jetzt nicht fluchtartig den Saal verlassen, meine Kollegen von der SPD-Fraktion.
Fünftens: unzureichende Anbindung insbesondere ländlicher Räume in den sogenannten Achsenzwischenräumen, wenn man das Verkehrsmodell des Landesentwicklungsplans Hauptstadtregion zugrunde legt, mangels Querverbindungen, auch Tangentialverbindung genannt.
Sechstens: Es gibt zu wenige Parkmöglichkeiten sowohl für Autos als auch sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, insbesondere an vielen Bahnhaltepunkten, die die Umsteigebereitschaft auf den ÖV verringern, weil viele Menschen nicht wissen: Ist mein Fahrrad am Abend noch da?
Siebtens: zu lange Wartezeiten beim Umsteigen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln. Hier müssen wir durch intermodale Mobilitätsketten entgegenwirken, bei denen die Relationen so organisiert sind, dass die Wartezeiten möglichst gering sind.
Eine wirklich integrierte Lösung der Probleme im Verkehrsbereich gibt es bis heute nicht. Seit Jahrzehnten wird an einem besseren und attraktiveren ÖV-System herumgedoktert. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie mehr Verkehr vom Auto auf das ÖV-System umgelenkt werden kann. Zunächst ging es dabei um die verkehrliche Entlastung von städtischen Ballungsräumen zur Reduzierung oder – besser noch – Vermeidung der mindestens werktäglichen Staus. Später kam die ÖVErschließung der ländlichen Räume hinzu, die gleiche Lebensverhältnisse überall, also auch im Sinne der Daseinsvorsorge im Bereich Mobilität, endlich umzusetzen in der Lage wäre.
Fragen eines anderen Abgeordneten (Frage und Name darf aus protokollarischen Gründen nicht hier erscheinen.)
Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Nein, später. Ich möchte erst einmal in das Thema einführen. – Dann kam im Rahmen der klimapolitischen Diskussion zunehmend die Zielsetzung der CO2-Einsparung hinzu. Wir haben also mindestens drei Zielsetzungen, die in der Diskussion eine Rolle spielen. Die CO2-Thematik ist ein weiterer Grund, sich endlich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen, also nicht nur darüber zu diskutieren, sondern ein integriertes ÖV-System zu entwickeln und Schritt für Schritt umzusetzen, um genau diese Ziele erreichen zu können. Genau das hat die Fraktion BVB / FREIE WÄHLER getan und mit ihrer Aktuellen Stunde im März Ihnen zu präsentieren begonnen.
Heute liegen Ihnen die Anträge Nummer drei und Nummer vier zur Umsetzung eines neuen, integrierten ÖV-Systems vor. Dazu wird es sicherlich weiterer Komponenten bedürfen. Aber ich versuche einmal, Ihnen das anhand der uns hier vorliegenden Anträge zu skizzieren.
Stellen Sie sich also vor: Das, was wir mit den Bahnlinien in Brandenburg haben – die Achsenentwicklungen, die ich eben angesprochen habe, dem LEP-HR entsprechend -, ist das Rückgrat. Stellen Sie sich das als Rückgrat eines integrierten ÖV-Systems vor. Wenn Sie so wollen, können Sie auch sagen, das ist das Knochenoder Liniengerüst des ÖV-Systems.
Um mehr Verkehre, vor allem auch in der Fläche, realisieren zu können, muss das Gerüst durch reaktivierte oder neue Linien, also Schienenwege – wir sprachen in diesem Plenum öfter darüber -, sowie entsprechende Haltepunkte ausgebaut und ergänzt werden. Da geht es insbesondere um Querverbindungen, die eben genannten Tangentialverbindungen.
Abseits der Hauptachsen, die von und nach Berlin gehen, sind diese Querverbindungen zur Erschließung weiterer ländlicher Räume und zugleich zu deren Anbindung an die nächsten Mittel- und Oberzentren erforderlich.
(Beifall BVB/FW)
Hier müssen auch Regionalbahnen mit einem mindestens halbstündlichen Takt über den Tag angebunden werden; denn es handelt sich hier um die Hauptachsen, um das Rückgrat des Verkehrssystems.
Nur dort, wo keine Bahn vorhanden ist, ist eine Anbindung an die Mittel- und Oberzentren durch Expressbuslinien über regionale Verbindungslinien mit entsprechend hoher Taktfrequenz, also mindestens halbstündlich, zu realisieren. Diese Buslinien können gegebenenfalls aus dem Ansatz der PlusBusse heraus weiterentwickelt werden. Zuwendungsvoraussetzungen und -höhen sind in der Verwaltungsvorschrift für die Zuweisung von Mitteln zur Durchführung von PlusBusVerkehren – VVPlusBus – entsprechend anzupassen, damit das auch funktionieren kann.
Um gleichzeitig die an den Werktagen, zumindest auf den Pendlerrelationen von und nach Berlin, überfüllten Züge zu entlasten und sie für zusätzliche Umsteiger vom Auto attraktiv zu machen, müssen die Taktfrequenzen dieser Linien, also der Hauptlinien – wir sind immer noch bei dem Rückgrat des Systems, dem Netzsystem -, deutlich erhöht werden. Die ÖV-Erschließung der weniger stark nachgefragten Achsenzwischenräume zwischen diesen Hauptverbindungslinien, die bisher oftmals gar keine Busangebote haben, kann durch On-Demand-Verkehre, die wir per App und auch noch per Telefon als Zubringerverkehre anfordern können, in Brandenburg erstmals flächendeckend gewährleistet werden.
(Beifall BVB/FW)
Das ist der entscheidende Punkt. Wir müssen endlich gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Räumen Brandenburgs gewährleisten und hier insbesondere die Daseinsvorsorge im Bereich der Mobilität umsetzen. Dafür müssen in diesen Räumen sicherlich vereinzelt auch bereits bestehende Buslinien, die nach einem festen Fahrplan mit einer sehr geringen Taktfrequenz fahren, also zweistündlich oder noch seltener am Tag, reduziert oder eingestellt werden, damit wir flächendeckend schrittweise On-Demand-Verkehre und bedarfsgerechte Zubringerverkehre zu den vielen Personennahverkehrslinien und zu den Expressbuslinien realisieren und auch finanzieren können. Diese Maßnahmen sollen in Ergänzung zu diesem Antrag, dessen Kernpunkt die hier eben genannten OnDemand-Verkehre sind, umgesetzt werden, um ein integriertes ÖV-System verwirklichen zu können.
(Beifall BVB/FW)
Dabei sind die ersten beiden Punkte, die ich geschildert habe, gleichsam das Grundgerüst bzw., wie gesagt, das Knochen- oder Liniengerüst. Der dritte Punkt beinhaltet die darauf aufbauenden elementaren Bausteine für einen flächendeckenden ÖPNV, wofür mit diesem Antrag die Grundlagen geschaffen werden.
(Beifall des Abgeordneten Vida [BVB/FW])
Wenn Sie so wollen, ist das sozusagen das Fleisch an den Knochen des Grundgerüstes.
(Beifall BVB/FW)
Fragen eines anderen Abgeordneten (Frage und Name darf aus protokollarischen Gründen nicht hier erscheinen.)
Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Nein, ich bin noch nicht fertig. – Durch das System wird überhaupt erst ein Mobilitätsangebot für viele Dörfer geschaffen, in die bisher gar keine Busse fahren. Nur auf diese Weise wird die Mobilität für jeden, vor allem im ländlichen Raum, im Sinne der Daseinsvorsorge zu gewährleisten und zugleich zu finanzieren sein.
Einen weiteren Baustein unseres integrierten ÖV-Gesamtsystems stellt der zweite heute vorliegende Antrag unter dem Titel „Jeder muss hinkommen – Reisezeiten von Brandenburger Mittel- und Oberzentren nach Berlin von maximal 60/90 Minuten“ vor.
(Beifall BVB/FW)
Hier geht es, wie Sie lesen können, nicht wie im ersten Antrag um die Organisationsstruktur, sondern um die Maßnahmen zur Behebung der unzureichenden Anbindung oder sogar oftmals nicht gegebenen Erreichbarkeit insbesondere ländlicher Räume, vor allem in den berlinfernen sogenannten Achsenzwischenräumen. Da dies für viele ein Ausschlussgrund für die Nutzung des ÖV-Verbunds in berlinfernen Gebieten des Landes ist, sind auch hier wirklich attraktive Alternativen zum Auto nicht nur anzubieten, sondern sogar besonders wichtig, wenn wir alle wollen, dass mehr Menschen ihr Auto stehen lassen oder vielleicht irgendwann sagen: Wir brauchen keines mehr.
(Beifall BVB/FW)
Neben der Anbindung der berlinfernen Achsenzwischenräume mit dem kommunalen ÖPNV über die eben schon genannten Expressbuslinien und On-Demand-Verkehre sind die Hauptverkehrslinien im halbstündlichen oder mindestens stündlichen Takt zu realisieren,
(Beifall BVB/FW)
um zu einem attraktiven und auch entsprechend wahrgenommenen Angebot für alle im ländlichen Raum zu gelangen, Stichwort: attraktive Alternative zum 12. Daher ist das Angebot der Regionalbahn eben auch quantitativ zu erhöhen. Konkret muss unser aller Zielsetzung sein, mittelfristig Schritt für Schritt eine Abdeckung von 4 bis 24 Uhr mit einem hinreichend verständlichen und gut merkbaren Takt zu realisieren. Ich erinnere nur an die Umsetzung des Deutschlandtakts auch in Brandenburg.
(Beifall BVB/FW)
Die unzureichende Anbindung insbesondere ländlicher Räume resultiert aus zu langen Reisezeiten aus verschiedenen Regionen des Landes Brandenburg zum Beispiel nach Berlin. Diese sind meist nicht konkurrenzfähig zur Nutzung des Autos. Auch da sagen die Leute wieder: Da muss ich doch mein Auto nehmen, weil ich sonst viel länger brauche. – Daher sind auch in Brandenburg die Vorgaben der verkehrlichen Richtlinien RIN 2008 – Richtlinien für integrierte Netzgestaltung -, also die angegebenen Reisezeiten von und nach Oberzentren von und nach Berlin von maximal 60 oder 90 Minuten, mit den jeweils nächsten Ausschreibungen für den Schienenpersonennahverkehr endlich umzusetzen. Der Deutschlandtakt und diese Vorgaben müssen auch für alle Brandenburgerinnen und Brandenburger täglich erlebbar werden.
Kurzfristig – ich glaube, es war am Dienstagmittag oder am Dienstagnachmittag – kam der Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE hinzu. Er beinhaltet eigentlich genau die Punkte, die wir beantragt und die auch wir ausformuliert haben, nur ein bisschen umformuliert. Deswegen muss ich hier leider sagen: Ich finde es nicht so ganz hilfreich, wenn sich DIE LINKE sozusagen als Trittbrettfahrer in letzter Minute mit einem Vollplagiat ins Plenum wagt und nichts Neues dazu beitragen kann.
(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)
Hätten Sie Änderungsanträge oder Ergänzungsanträge dazu, die das ganze System noch verbessern, würde ich mich sehr freuen. Ich hoffe trotzdem, dass wir jetzt in eine konstruktive Diskussion über eine zukunftsfähige Lösung für ein wirklich attraktives, weil integriertes ÖV-System eintreten können.
Zwischenruf eines anderen Abgeordneten (Frage und Name darf aus protokollarischen Gründen nicht hier erscheinen.)
Dr. Zeschmann [BVB/FW]: Das habe ich nie behauptet!)
Fragen eines anderen Abgeordneten (Frage und Name darf aus protokollarischen Gründen nicht hier erscheinen.)
Dr. Zeschmann (BVB/FW): Ja, das können wir gerne machen, kein Problem.
Fragen eines anderen Abgeordneten (Frage und Name darf aus protokollarischen Gründen nicht hier erscheinen.)
Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin Spring-Räumschüssel. Ich sage es einmal so: Wir haben jetzt hier die Anträge Nummer drei und Nummer vier zu den Themen der ÖPNV-Strategie vorgelegt. Sie werden sicher nachvollziehen können, dass man unmöglich alle Problemstellungen in einem einzigen Antrag abbilden kann. Ein solcher Antrag hätte sonst wahrscheinlich 50 Seiten. Den würde keiner lesen, und man könnte auch nicht darüber diskutieren.
Hier geht es erst einmal darum, eine Struktur des öffentlichen Personennahverkehrs abzubilden und zu realisieren, die es überhaupt erstmals ermöglicht, allen Menschen in diesem Land Mobilität bis zum letzten Bauernhof anzubieten; denn wir haben da bisher gar keinen Busverkehr, gar keine Anbindung.
Und wenn sie noch einen Busverkehr haben, dann beschränkt er sich darauf, dass morgens ein Schulbus fährt und nach dem Mittag noch einer.
Richtig ist, dass natürlich auch das Thema Sicherheit hierbei noch eine Rolle spielt. Aber das kann ich in der groben Organisationsstruktur – ich sprach ja von „Knochengerüst“ und „Fleisch daran“ – noch nicht abbilden. Das wäre sozusagen Schritt vier oder fünf. Wenn wir dieses System erst einmal organisatorisch abgebildet haben, können wir das Konzept Schritt für Schritt umsetzen. – Danke schön.
(Beifall BVB/FW)