Rede von Philip Zeschmann in Textform:
Dr. Philip Zeschmann (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger!
Ich muss noch einmal mit den bestehenden Defiziten des ÖPNV-Systems, des Bahnsystems und des Bussystems bei uns im Land Brandenburg beginnen – ich mache es auch sehr kurz: kein ausreichendes Mobilitätsangebot ohne Auto in vielen ländlichen Regionen, unzureichende Anbindung dieser ländlichen Räume durch Bus und Bahn, zu lange Fahrtzeiten aus verschiedenen Regionen des Landes nach Berlin; die Züge fahren zu selten und sind auf den Pendlerrelationen zumeist – zumindest zu den sogenannten Stoßzeiten – überfüllt; unzureichende Anbindung insbesondere ländlicher Räume in den sogenannten Achsenzwischenräumen, also außerhalb der Verkehrsachsen, die sternförmig aus Berlin herausführen; zumeist zu wenig Park-and- Ride- und Bike-and-Ride-Parkplätze – also Abstellmöglichkeiten an den Bahnhaltepunkten -; zu lange Wartezeiten beim Umsteigen zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln und so weiter und so fort. Das wissen wir alle.
Eine wirklich integrierte Problemlösung gibt es leider bis heute nicht. Seit Jahrzehnten wird an einem besseren und attraktiveren ÖPNV-System herumgedoktert. Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie man den Verkehr vom Auto auf den sogenannten Umweltverbund lenken kann. Nun sollte endlich eine integrierte ÖV- Lösung entwickelt und Schritt für Schritt auch umgesetzt werden, um die genannten Ziele zu erreichen: die Verbindungen zu verbessern.
Genau das hat BVB / FREIE WÄHLER getan. Mit unserer Aktuellen Stunde im März haben wir bereits begonnen, die entsprechenden Komponenten eines solchen Systems vorzustellen. Heute liegen Ihnen die Anträge Nummer fünf und sechs zur Umsetzung dieses integrierten ÖPNV-Systems vor. Und spätestens im Herbst dieses Jahres werden Sie in der Gesamtschau dieser verschiedensten Anträge die verschiedenen Komponenten bzw. Puzzleteile eines integrierten Bus- und Bahnsystems, das Mobilität für alle – auch bis zum letzten Bauernhof – garantiert, erkennen.
(Beifall BVB/FW)
Stellen Sie sich also das Netz unserer Bahnlinien in der Metropolregion Berlin- Brandenburg als das Rückgrat dieses integrierten ÖPNV-Systems vor. Wenn Sie wollen, ist es das Liniengerüst des ÖPNV-Systems. Um mehr Verkehr vor allem in ländlichen Räumen realisieren zu können, muss das ÖV-System durch zu reaktivierende oder auch durch neue Bahnlinien – also Schienenwege – mit entsprechenden Haltepunkte ergänzt werden. Wenn Sie die Entfernung zu Berlin erhöhen und sich die Strahlen des Netzes anschauen, sehen Sie, dass es einfach zu dünn ist.
Auch abseits der Hauptachsen von und nach Berlin muss zur Erschließung der ländlichen Räume die Anbindung an die nächsten Mittel- und Oberzentren gewährleistet werden und müssen die existierenden Regionalbahnen nicht nur im Zweistundentakt oder seltener, sondern im Halbstundentakt fahren.
(Beifall BVB/FW sowie des Abgeordneten Hohloch [AfD])
Dort, wo es keine Schienenverbindungen gibt, kann diese Funktion der Querverbindungen durch Expressbuslinien zum nächsten Mittel- und Oberzentrum organisiert werden. Mit einer entsprechend höheren Taktfrequenz sind sie auch attraktiv und bieten ein ähnliches Niveau wie Bahnen.
(Beifall BVB/FW)
Unser erster heute hier vorliegender Antrag befasst sich mit der Dimension der Pendlerzahlen. Wie Sie sicher wissen, hatten wir zwischen Berlin und Brandenburg schon 2019 täglich 311 000 Pendler. Brandenburg hat mit 30 % die höchste Auspendlerquote in Deutschland, dem muss man natürlich gerecht werden. Die neue Chefin des VBB hat vor einer Woche im AIL übrigens deutlich artikuliert, dass das ein wichtiges Thema ist, das angegangen werden muss.
Um die werktäglich mindestens auf den Pendlerrelationen von und nach Berlin überfüllten Züge zu entlasten und für zusätzliche Umsteiger vom Auto attraktiv zu machen, müssen nicht nur die Taktfrequenzen dieser Linien, also meistens der REs, sondern auch das Liniengerüst des ÖV-Systems deutlich erweitert werden.
(Beifall BVB/FW)
Um diese Taktfrequenz wirklich realisieren zu können und gleichzeitig unterschiedliche Angebote für die unterschiedlichen Zielgruppen anbieten zu können, braucht es die neuartigen Regio-S-Bahnen, die in verschiedenen Verkehrsverbünden in Deutschland längst selbstverständlich sind. Der wichtige Punkt ist: Sie fahren von den sogenannten Städten der zweiten Reihe aus und halten bis zur Berliner Stadtgrenze an jedem Bahnhalt, sind aber innerhalb Berlins genauso schnell wie Regionalexpresszüge und halten daher nur an den wichtigsten Umsteigebahnhöfen in Berlin.
Warum brauchen wir die? Weil die Regionalexpresszüge genau in diesem Bereich schon jetzt häufig anhalten müssen und morgens und abends überfüllt sind. Die Regionalexpresszüge sollen ja – wie es immer so schön heißt – die Möglichkeit bieten, schnell in die Tiefen des Raumes des Landes Brandenburg vorzustoßen, um auch für die Menschen von dort wirklich schnelle Verbindungen nach Berlin zu realisieren.
(Beifall BVB/FW)
Und dafür müssen sie durch die Regio-S-Bahnen im Berliner Umland bis zu den Städten der zweiten Reihe entsprechend entlastet werden. Das führt zusätzlich dazu, dass wir durch beide Zugvarianten auf diesen Strecken eine Verdopplung der Taktfrequenz realisieren können.
Ein weiterer Baustein unseres integrierten ÖV-Systems bzw. Gesamtsystems ist der zweite Antrag. Hier geht es um das Thema, was ich schon angesprochen habe: die Verdichtung des Liniennetzes, insbesondere in berlinfernen Regionen. Es geht um Maßnahmen zur Behebung der vorhin schon skizzierten unzureichenden Anbindung oder sogar oftmals nicht gegebenen Erreichbarkeit, insbesondere in den ländlichen, berlinfernen sogenannten Achsenzwischenräumen – also in den Bereichen zwischen dem Strahlennetz der Verkehrserschließung nach Berlin hinein. Derzeit ist es ja so, dass diese Räume eigentlich gar nicht oder nur sehr schlecht erreicht werden können. Deshalb geht es hier vor allem um Querverbindungen.
(Beifall BVB/FW)
Die unzureichende Anbindung insbesondere ländlicher Räume resultiert auch aus den zu langen Reisezeiten aus verschiedenen Regionen des Landes Brandenburg insbesondere nach Berlin, da diese nicht konkurrenzfähig zur Nutzung des Autos sind. Eine übergeordnete Zielstellung des Koalitionsvertrages ist übrigens die Erreichbarkeit und Mobilitätssicherung aller Landesteile.
„Die Koalition strebt mit Bezug auf Berlin und benachbarte Metropolen an, dass Oberzentren in 60 Minuten und Mittelzentren in 90 Minuten erreichbar sind.“
Die Richtlinien für integrierte Netzgestaltung, die Vorgabe für Bahnverkehre in ganz Deutschland sind, geben allerdings noch ganz andere Ziele vor, nämlich Reisezeiten mit dem ÖPNV in die Mittelzentren von 45 Minuten und in die Oberzentren von 90 Minuten.
(Beifall BVB/FW)
Um also das Problem der schlechten bzw. fehlenden Anbindung anzugehen und den Erreichbarkeitszielen der Richtlinie und auch den Vorgaben in Ihrem Koalitionsvertrag ein bisschen näher zu kommen, muss das Liniennetz insbesondere in den ländlichen Achsenzwischenräumen durch die eben genannten Querverbindungen zu den Hauptachsen nach Berlin verdichtet werden. Der LEP HR enthält dies bereits. Nur auf einer solchen Basis kann man auch Menschen aus diesen Regionen des Landes ein attraktives Angebot mit dem öffentlichen Personennahverkehr unterbreiten.
(Beifall BVB/FW)
Dies ist oftmals durch die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken und zugehöriger Haltepunkte erreichbar. Da die mangelnde Erreichbarkeit für viele ein Ausschlussgrund für die Nutzung des ÖV-Systems in berlinfernen Gebieten ist, sind auch hier wirklich attraktive Alternativen zum Auto zu realisieren.
Neben der Anbindung der berlinfernen Achsenzwischenräume über den kommunalen ÖPNV sind auch über Expressbuslinien – das habe ich eben schon angesprochen – und – ich sprach im letzten Monat darüber – über On-Demand-Verkehre – also Bedarfsverkehre, um wirklich auch jeden Bauernhof anfahren zu können – die Hauptverkehrsverbindungen auf der Schiene nicht nur mit einem halbstündlichen oder wenigstens stündlichen Takt möglichst gleichbleibender Taktung, sondern auch und insbesondere die eben genannten Querverbindungen zwischen den Achsen mit der Reaktivierung alter Bahnstrecken oder – da, wo es möglich und notwendig ist und es keine Alternative gibt – dem Neubau von Bahnstrecken zu realisieren.
(Beifall BVB/FW)
Damit wird das Schienennetz dann dichter und die Erreichbarkeit besser und schneller, womit wir einem attraktiven, aber auch entsprechend wahrgenommenen Angebot in allen ländlichen Regionen näherkommen. Hier greift jedoch die Forderung des zuständigen Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung, „dass es für einen attraktiven ÖPNV der Bereitschaft des Bundes bedarf, die dafür notwendigen Regionalisierungsmittel zu erhöhen“, zu kurz.
Wir wollen in ländlichen Regionen Mobilität auch ohne das Auto erreichen – bei den anderen hier im Hause bin ich mir da nicht immer so sicher.
Deshalb ist das Land Brandenburg in der Eigenverantwortung, die eben genannten Ziele im Koalitionsvertrag auch mit eigenem Geld umzusetzen. Man kann nicht immer auf den Bund warten, wenn man sich etwas vorgenommen hat, man muss es auch selbst wollen und dafür Geld ausgeben.
(Beifall BVB/FW)
Deswegen freue ich mich jetzt sehr auf die konstruktive Diskussion über zukunftsfähige Lösungen für ein wirklich attraktives, integriertes ÖPNV-System, was auch Autofahrer dazu bewegt, umzusteigen und mit ihm zu fahren.
(Beifall BVB/FW)