Die Wasserstoffwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen

11. Apr. 2022

Am 7. und 8. April machte der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Energie (AWAE) eine Exkursion, um sich über den Stand der Wasserstofftechnologie zu informieren. Mit dabei waren auch unser Abgeordneter Dr. Philip Zeschmann und unser Energie-Referent Robert Soyka, der eine kurze Zusammenfassung über die Erkenntnisse der Exkursion liefert.

Wasserstoffdorf Bitterfeld

Dr. Philip Zeschmann (BVB / FREIE WÄHLER) vor der Brennstoffzelle im Wasserstoffdorf Bitterfeld

Erste Station war das „Wasserstoffdorf“ in Bitterfeld. Es ist bisher in erster Linie eine Teststation für Leitungen, Steuerungs- und Messgeräte. Die Ergebnisse nach jahrelangen Tests stimmen positiv: Die meisten Teile des Erdgasnetzes funktionieren auch mit Wasserstoff. Die Netzbetreiber müssen nur wenige Bauteile ersetzen. Dies kann größtenteils im Rahmen des regulären Austauschs alter Teile passieren.

Schwieriger sieht es mit den Abnehmern und Anbietern aus. Die Einspeisung von Biogas macht nach der Umstellung auf Wasserstoff keinen Sinn mehr. Der Wasserstoff würde verunreinigt, die Kohlenwasserstoff-Beimischungen würden manche Verbraucher wie etwa Brennstoffzellen beschädigen. Biogasanlagen, die bisher gereinigtes Biogas ins Netz einspeisen, brauchen bei einer Umstellung also lokale Lösungen.

Ein weiteres Problem ist das Personal. Viele Gasmonteure hatten nie eine Ausbildung im Umgang mit Wasserstoff und Wasserstoffanlagen. Daher werden sie im Wasserstoffdorf nun im Umgang mit der Wasserstofftechnologie geschult.

Langfristig wollen die Initiatoren zudem ein lokales Versorgungsnetz schaffen, dass unter anderem die Chemieanalgen in Bitterfeld und Wolfen, das BMW-Werk bei Leipzig und den Flughafen Halle-Leipzig verbinden soll. Der Flughafen will vor Ort Photovoltaikanlagen und Elektrolyseanlagen errichten und je nach Wetterlage als Erzeuger oder Verbraucher auftreten. Ein spezieller Speicher ist im Netz zwar nicht vorgesehen, doch die Leitungen mit großem Durchmesser und hohem Druck können in ihrem Volumen genug Gas für mehrere Tage zwischenspeichern.

Energiepark Bad Lauchstädt

Professor Hartmut Krause erklärt das Vorhaben im Energiepark Bad Lauchstädt

Eine Gruppe von Investoren will im Energiepark Bad Lauchstädt eine Gesamtlösung für Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff erschaffen. Ein Windpark von 50 MW soll bei Wind 30 MW an Elektrolyseanlagen versorgen. Ein früher für Erdgas verwendeter Kavernenspeicher soll als Zwischenspeicher für die Versorgungssicherheit auch bei Flauten sorgen. Der „Energiepark“ soll 2026 in Betrieb gehen.

Der Strom weiterer Windkraftanlagen kann nicht verwendet werden – rechtliche Hürden verhindern das. Eigentlich wäre wünschenswert, die Windkraft mit Photovoltaik zu ergänzen. Denn so könnte die Auslastung der Elektrolyseanlagen erhöht werden. Doch bisher fehlen dafür die Flächen. Die Menge an produziertem Wasserstoff ist zudem gering. Ziel ist, vorerst lediglich einen Teil der Versorgung der chemischen Industrie in der Region zu übernehmen. Um mittels Rückverstromung von Wasserstoff Dunkelflauten zu überbrücken, wären um Größenordnungen Produktionskapazitäten notwendig.

Wasserstoffherstellung in Leuna

Linde-Werke in Leuna – Bildquelle:  Joeb07, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Ähnlich sieht es beim Gase-Hersteller Linde im Industriepark Leuna aus. Der versorgt vor allem die umliegende Industrie. Bisher wird Wasserstoff dort in einem Dampf-Reformer aus Erdgas hergestellt. Nun entsteht bis Ende 2022 eine 25 MW-Anlage zur Elektrolyse. Der erzeugt jedoch nur einen winzigen Bruchteil der Dampf-Reformer – geschätzt 5-10 % der Menge. Die Kosten der neuen Anlage seien nicht exakt zu beziffern, lägen jedoch im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Bisher habe sich die Hoffnung auf eine deutliche Kostenreduktion der Elektroyseanlagen nicht erfüllt – die notwendigen seltenen Metalle hätten sich im Preis deutlich erhöht.

Subventionsbedarf und rechtliche Probleme

Einiges hatten alle besichtigten Anlagen gemeinsam: Sie stecken noch in einer frühen Phase und sind vom Umfang her ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie sind eher als Versuche und Prototypen für eine zukünftige Umstellung zu betrachten. Aber noch nicht als Beginn der Umstellung in großem Maßstab. Zudem sind die Erzeugungsanlagen bisher nicht marktreif. Sprich: Sie können mit Erdgas trotz dessen Preissteigerung und der Zusatzkosten für CO2-Emssionsrechte preislich noch nicht mithalten. Die Projekte hängen somit noch in hohem Maße von staatlicher Förderung ab.

Oft stehen der Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft auch Gesetze im Weg. So dürfen nach einigen Planungen der EU diejenigen, die Experten für das Gas-Pipelines und Gas-Netzwerke sind, kein Leitungsnetz für Wasserstoff betreiben. Das „Unbundling“ soll wohl den Wettbewerb im Gasmarkt insgesamt verbessern. Doch in der Realität hängt es wie ein Damoklesschwert über jeder Investition. Denn wenn die Gasversorger Teile ihres eigenen Erdgasnetzes auf Wasserstoff umstellen, dürften sie dieses nicht mehr betreiben. Eine Gesetzesidee, die vielleicht zu mehr Wettbewerb führen sollte, wird so zum Hemmschuh für die Umstellung. Und niemand hat das Geld und die Fachkompetenz, ein komplettes neues Wasserstoff-Gasnetz aus dem Boden zu stampfen.

Energieautarkie für Brandenburg unmöglich

Zudem wird klar, dass angesichts des Mangels an günstiger erneuerbarer Energie der Bedarf an Wasserstoff nicht annähernd vor Ort gedeckt werden kann. Hierzulande haben nur Windkraft und Photovoltaik großes Ausbaupotential. Doch selbst das reicht bei weitem nicht aus. Auch der Wirtschaftsminister Steinbach stellte in der Diskussionsrunde fest, dass die notwendigen Mengen an Wasserstoff für Brandenburgs Industrie mittels Windkraft in Brandenburg nicht zu erzeugen sind. Doch ohne Wasserstoff wäre das Stahlwerk langfristig tot. Folglich muss Wasserstoff importiert werden.

Auch die bestenfalls mittelmäßigen klimatischen Bedingungen stehen der Massenproduktion von erneuerbarer Energie für Wasserstoff im Weg. Sie sorgen für Kosten von 5 bis 10 Cent je kWh. Somit ist der angesichts der Wirkungsgrade notwendige Strom bereits teurer als das Erdgas, das man durch die Elektrolyse ersetzen will. Andere Regionen haben durch großes Wasserkraftpotential oder extreme Sonneneinstrahlung eine Möglichkeit, Strom für 2 Cent je kWh zu produzieren. Somit wird eine Umstellung nur mit Importen möglich sein.

Fazit

Wasserstoff ist eine durchaus plausible Option, um langfristig Erdgas ersetzen zu können. Die Technologie könnte sich dank guter Speicherbarkeit auch als Energiepuffer eignen. Die Wasserstoff-Technologie steckt aber noch in den Kinderschuhen, Hoffnungen auf rapide fallende Preise für Elektrolyseanlagen haben sich bisher nicht bewahrheitet. Elektrolytisch erzeugter Wasserstoff kann trotz Preisexplosion beim Erdgas mit diesem preislich noch lange nicht mithalten. Die ersten größeren Pilot-Projekte kommen erst in der zweiten Hälfte der 2020er in Betrieb und dienen der Versorgung von Industriebetrieben. Sie können also nicht helfen, einen kurzfristig ausgerufenen Boykott russischen Erdgases auszugleichen. Eine Energieautarkie ist mangels Potential für erneuerbaren günstigen Strom und eher bescheidener Wirkungsgrade bei Produktion und Rückverstromung selbst langfristig nicht möglich. Im Fall einer längerfristigen vollständigen Umstellung zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts muss grüner Wasserstoff größtenteils importiert werden.

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