Link zum Vorgang: https://www.bvb-fw-fraktion.de/parla_tracking
Rede von Philip Zeschmann in Textform:
Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger am Livestream! Mit unserem Antrag zur Anpassung und Erweiterung der Richtlinie zur Gewährung von Anpassungsgeld an Arbeitnehmer von Braunkohleunternehmen vom 3. September 2020 knüpfen wir wie angekündigt an die Debatte vom 29. April hier im Plenarsaal an. Aus unserer Sicht wurde dabei zwar über sich ergebende Problemlagen rund um die Gewährung von Anpassungsgeld diskutiert. Die Ansatzpunkte, die zu einer Lösung der angesprochenen Probleme führen können, sind jedoch weitgehend im Dunkeln geblieben. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute diesen Antrag einzureichen – um Licht ins Dunkel zu bringen.
Noch einmal kurz: Worum geht es in der Diskussion um das Anpassungsgeld? Anpassungsgeld soll den Mitarbeitern ab dem 58. Lebensjahr in Braunkohleunternehmen sowie deren Tochterund Partnerunternehmen gewährt werden, die bereits heute oder in Zukunft ihren Arbeitsplatz verlieren. Das ist auch richtig und gut so, muss doch den Menschen geholfen werden, die ohne eigene Schuld, allein infolge des politisch festgeschriebenen Ausstiegs aus der Braunkohle ihren Arbeitsplatz verlieren. Ich glaube, das war über Parteigrenzen hinweg grundsätzlich auch die Herangehensweise: hier einen sozialen Übergang zu schaffen.
Leider zeigen uns die aktuellen Fallzahlen, dass dieses Ziel zwar gut gemeint war, die Regelungen dafür jedoch ziemlich mangelhaft ausformuliert wurden; denn der überwiegende Teil der betroffenen Beschäftigten kann diese Hilfe aus dem Anpassungsgeld gar nicht in Anspruch nehmen. Konkret wurden nach Auskunft des für die Gewährung zuständigen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Außenstelle Weißwasser, im Lausitzer Braunkohlerevier 27 potenzielle Partnerunternehmen angeschrieben. Davon hat sich nach Angaben des BAFA nur ein geringer Teil zurückgemeldet. 17 der 27 Unternehmen reagierten überhaupt nicht. Lediglich zwei von 27 Unternehmen aus dem Lausitzer Revier erfüllen demnach die Voraussetzungen, um als Partnerunternehmen im Sinne der Richtlinie für das Anpassungsgeld anerkannt zu werden.
Die Beschäftigten aller übrigen Unternehmen, die ebenfalls entlassen wurden oder werden, bleiben also auf der Strecke. Das kann und darf nicht sein; denn das führte doch zu der Arbeitslosigkeit infolge des Braunkohleausstiegs, die gerade vermieden werden sollte.
Was muss sich also ändern? Damit das Anpassungsgeld auch wirklich bei den Betroffenen ankommt, bedarf es aus unserer Sicht einer Änderung der Richtlinie, und zwar konkret in folgenden Punkten:
Erstens: Die Stichtagsregelung für Tochter- und Partnerunternehmen nach Nr. 2.1.2 der Richtlinie, sich bis spätestens zwei Monate nach Inkrafttreten dieser Richtlinie beim BAFA zur Berücksichtigung im Rahmen der Richtlinie zu melden, muss entfallen; denn diese Frist ist abgelaufen. Wir haben gerade gehört, genau zwei Unternehmen haben dann die Möglichkeit, das Anpassungsgeld für ihre Arbeitnehmer zu bekommen.
Zweitens: Für die Bemessungsgrundlage des Jahresumsatzes von mindestens 80 % – wie es hier vorgegeben wird – aus einer spezifischen Tätigkeit im Braunkohletagebau darf nicht allein das Referenzjahr 2019 herangezogen werden, weil – ich hatte das letztes Mal schon gesagt – die LEAG dort ihre Investitionen zurückgefahren hat. Das heißt, vernünftig und fair wäre, den Durchschnitt des Auftragsvolumens der Jahre 2016 bis 2020 zu bilden.
Drittens: Der als Bemessungsgrundlage für die Anspruchsberechtigung herangezogene Prozentsatz des Jahresumsatzes – eben die angesprochenen 80 % – von Tochter- und Partnerunternehmen, welcher aus einer spezifischen Tätigkeit im Braunkohletagebau erwirtschaftet wird, sollte mindestens auf 70 % herabgesetzt werden.
Erst mit diesen Änderungen der Richtlinie wird dem Unternehmen tatsächlich ermöglicht, ihren Beschäftigten das Anpassungsgeld auch wirklich zugutekommen zu lassen. Die Stichtagsregelung für Tochter- und Partnerunternehmen beispielsweise ist nämlich, wie ich schon sagte, bereits verstrichen. Hier geht es also in erster Linie darum, dass alle entsprechenden Unternehmen und damit auch ihre Mitarbeiter zukünftig überhaupt noch partizipieren können; denn die Richtlinie gilt bis 2048, die Beantragungsfrist ist aber schon abgelaufen. Das passt irgendwie nicht zusammen.
Dass die 80-%-Grenze nicht allein für das Jahr 2019 festgelegt werden darf, liegt – wie gesagt – am deutlich reduzierten Auftragsvolumen der LEAG gerade in diesem Jahr mit Blick auf den bevorstehenden Braunkohleausstieg. Es gibt deshalb also nicht wenige Unternehmen in der Lausitz, die sich genau wegen dieses Auftragsrückgangs im Jahr 2019 alternative Aufträge gesucht haben und nur in diesem Jahr unter die 80-%-Grenze gefallen sind.
Es stellt sich allerdings auch noch die Frage, warum Mitarbeiter von Unternehmen, die jahrzehntelang im Wesentlichen von Aufträgen aus dem Braunkohletagebau lebten – also zum Beispiel mit 79, 75 oder 70 % Auftragsvolumen -, von vornherein von der Möglichkeit, Anpassungshilfen zu erhalten, ausgeschlossen werden sollen.
Darüber hinaus müsste eigentlich auch – das ist in diesem Zusammenhang noch nicht diskutiert worden – über die relativ hohe Altersgrenze von 58 Jahren im Vergleich mit den entsprechenden Vorruhestandsregelungen beispielsweise in der Automobilindustrie diskutiert werden; denn dort sind vergleichbare Programme zumeist ab 55 Jahren zugänglich, weil man auch bereits in diesem Alter keinen neuen Job mehr findet – und wahrscheinlich in der Lausitz noch schwerer. Allerdings haben wir das erst einmal noch nicht in den Antrag an sich hineingeschrieben; denn das ist sozusagen unser vorweggenommener Kompromiss, weil wir verstehen können, dass es erhebliche zusätzliche finanzielle Lasten nach sich zieht, wenn wir von 58 auf 55 Jahre heruntergehen.
Soll hier also wirklich der Ausstieg aus der Braunkohle für die Menschen vor Ort sozial abgefedert werden, was ja die ursprüngliche Zielsetzung, Intention dieser Richtlinie war, ist die Änderung der Richtlinie zwingend. Deswegen bitten wir um Ihre Zustimmung. Und ich bin mir ganz sicher, dass es da bei der SPD aufgrund ihres sozialen Gewissens gar keine Zweifel geben wird. – Danke schön.